Wir verlassen das Südchinesische Meer wieder in Richtung Berge. Auf unserem Weg werden wir in die Kunst der vietnamesischen Küche eingewiesen und schlemmen noch einmal so richtig. Umso höher wir dann allerdings kommen, umso weiter geht es für uns bergab.   

Viel Spaß beim Lesen!

Nach unserem gelungenen Abschied vom Südchinesischen Meer geht es für uns in die gar nicht weit entfernte, einstige Hafenstadt Hội An. Wir wollen unbedingt durch diese Stadt radeln, denn unser Lieblingsrestaurant in Kiel trägt genau diesen Namen. Vom vietnamesischen Restaurant ins echte Hội An sozusagen. Als altes Tor der Welt zählt die Stadt seit 1999 zum UNESCO- Weltkulturerbe.
Doch mit einem einstigen, blühenden Welthafen hat das Ganze heute in unseren Augen nichts mehr zu tun. Man kann es wohl eher als Hafen für Tourist*innen bezeichnen. Die schönen Gassen sind völlig überfüllt mit unzähligen Reisegruppen. Alles ist für Reisende angelegt. Es gibt massenweise Läden voller billiger Kleidung und Kitsch. Am Abend verwandelt sich die Szenerie in eine Partymeile mit nervigen Menschen, die einem irgendwelchen Plastikschrott oder Kerzen für den leuchtenden Fluss andrehen wollen oder einen volllabern, um in Restaurants oder Bars zu lotsen. Wir erleben einen echten Kulturschock.

Wir versuchen die Massen auszublenden und erfreuen uns an der historischen Architektur, den kleinen Details und der Schönheit, die Hội An, als eine der wenigen nicht zerbombten Städte, auch heute noch mit sich bringt.
Am Abend probieren wir ein schmackhaftes Nudelgericht, welches nur hier aufgetischt wird, Cao lầu. Spätestens jetzt ist klar, dass dies ein guter Ort ist, um mehr über die vietnamesische Küche zu erfahren und tiefer in die Geheimnisse der exotischen Gewürze und Kräuter einzutauchen.

Wir buchen einen Kochkurs. Gar nicht so einfach, denn auch hier gibt es ein massenhaftes Angebot. Nach unseren kulinarischen Highlights der letzten Tage, wissen wir mittlerweile, über welche Gerichte wir gern mehr erfahren wollen und so fällt unsere Entscheidung auf Ms Hanhs cooking class. Natürlich sind wir skeptisch, da wir ja ansonsten eigentlich nie irgendwelche Sachen mit irgendwelchen Gruppen buchen, sondern auf eigene Faust reisen, aber wir werden positiv überrascht.
Am frühen Morgen treffen wir uns mit der sympathischen Hanh. Zu unserer Überraschung kommen allerdings keine weiteren Gäste, wie vorher angesagt, und so schlendern nur wir gemeinsam mit ihr über den Markt. Wir erfahren viel darüber, wie man die exotischen Früchte oder Kräuter richtig auswählt und für was man die einzelnen Zutaten benutzt.

Nachdem wir alle Zutaten für unser gemeinsames Kochen in den Beuteln haben, geht es für uns mit dem Boot auf dem Sông Thu Bồn Richtung Kokosnusswald, wo wir in ein kleines Bambusboot umsteigen und unsere ersten Krabben fischen. Doch keine Angst, selbstverständlich entlassen wir sie schnell wieder in die wohlverdiente Freiheit.
Unser Kapitän ist ein witziger Kerl, der uns währenddessen Schmuck aus den Blättern der Nipapalmen bastelt und uns beibringt, wie man so eine kleine Bambusschale steuert. Wir kommen ganz schön ins Schwitzen bei den flinken Drehbewegungen mit dem kleinen Paddel.

Bei Ms Hanh zu Hause beginnt dann unser Kochkurs. In dem kleinen Familienbetrieb helfen alle mit. Die Omi bringt die vorbereiteten Zutaten, der Mann assistiert und bereitet schonmal den nächsten Kurs vor. Der Sohn springt dazwischen herum und begutachtet hin und wieder die Situation, denn es sind ja gerade Sommerferien.

Hanh weiht uns in die Zubereitung von Frühlings- und Sommerrollen, Bánh xèo, Phở und der unverzichtbaren Dipp-Sauce ein. Die berühmte Fischsauce, die eine wichtige Grundlage vieler vietnamesischer Gerichte bildet, wird heute fast nur noch als Fertigprodukt ge- und verkauft. Sie wurde von Hanhs Mutter vor wenigen Jahren noch selbst hergestellt.
Dabei werden kleine Fische wie z.B. Sardellen mehrere Monate in Salz eingelegt und in Fässern fermentiert. Der Prozess dauert bis zu einem Jahr. Auch die unverzichtbaren Elemente Reis und frische Kräuter, egal in welcher Form, dürfen in keinem vietnamesischen Gericht fehlen.
Wir zerkleinern die frischen Zutaten mit dem großen Hackmesser und zerstampfen im Mörser, bevor die kleinen Gaskocher angeschmissen werden. Verrührt wird mit verschiedenen Arten von Stäbchen. Ein Riesenspaß mit köstlichem Finale.

Spaßig wird’s auch am Abend nochmal. Wir schlendern zufällig bei einem lautstarken Spektakel vorbei. Hier wird gerade Bai Choi in kleinen Bambushütten gespielt, eine Art Bingo mit Gesang und traditioneller Musik. Die Kunst des Bai Choi ist sogar im immateriellen Kulturerbe der UNESCO gelistet.
Die Bambuskarten mit verschiedenen Figuren werden gezogen und hochgehalten. Zeigt die eigene Karte das Symbol, bekommt man eine gelbe Fahne. Wer drei gelbe Fahnen ergattern kann, erhält eine rote und gewinnt das Spiel.
Entstanden ist das Spiel in den Hütten, die auf den Feldern zur Verteidigung vor wilden Tieren errichtet wurden. Durch die Musik und den Gesang sollten Eindringlinge verscheucht werden. Außerdem hat es natürlich vor allem zur Belustigung gedient. Wir entgehen leider knapp dem Sieg (vgl. UNESCO).

Wir verlassen Hội An, die Stadt mit dem einst großen und bedeutenden Hafen. Unser Weg führt uns über die vielen Arme des Sông Thu Bồn und das dazwischen liegende Land umgeben von Wasser. Die kleinen betonierten Wege führen entlang der Reisfelder, Wasserbüffel suhlen sich in Schlammlöchern und kleine Holzboote schippern über die Kanäle. Vietnam bietet viele wunderschöne Wege zum Radfahren. Die grünende Vegetation ist überall und bekommt durch die kontrastreichen, roten, im Wind flatternden vietnamesischen und kommunistischen Fahnen kleine Akzente verliehen.
Ja, dass wir in einem kommunistischen Land sind, vergisst man doch ganz schnell. Zumindest das, was wir damit verbinden, entspricht nicht (mehr?) der Wirklichkeit. Wir stellen mit leichtem Augenzwinkern fest, dass wir gerade im kapitalistischen Kommunismus unterwegs sind. Was sich hinter den Vorhängen abspielt, wissen wir natürlich nicht. Und ob die Menschen hier wirkliche ihre Freiheit und persönliche Entfaltung ausleben können, wie es scheint, eben auch nicht.

Auf dem Weg gen Laos radeln wir wieder in die Berge, die sich nach und nach vor uns erheben. Wir erreichen erneut den Ho Chi Minh Pfad, welcher sich durch fast ganz Vietnam schlängelt. Mit den ersten Anstiegen spüren wir direkt wieder unsere Beine, wir schwitzen ohne Ende und sind ständig komplett durchnässt.

Wir finden ein rumpeliges Zimmerchen in einer kleinen Stadt am Highway. Am Abend, nach der wohltuenden Dusche, schlendern wir durch die verschlafenen Gassen. Die Menschen schauen uns gespannt an, es scheint als kommen hier nicht so viele Tourist*innen vorbei. Die Suche nach etwas Essbarem gestaltet sich erneut entsprechend schwierig…

Der erste Stopp ist ein phở -Suppen-Stand, denn zumindest bei der traditionellen Nudelsuppe, die hier vor allem zum Frühstück verspeist wird, stehen die Chancen meist gut, nicht enttäuscht zu werden. Manche darauf spezialisierte Garküchen, haben deshalb auch nur morgens geöffnet und schließen im Laufe des Vormittags. Doch in etwas größeren Orten hat man auch am Abend Glück. Der knarzende Ventilator sorgt für etwas frische Luft. Die ältere Frau sitzt schon längst wieder auf einem Plastikstuhl in der kleinen Hütte aus Holz und starrt auf ihr lautstarkes Smartphone. Neben ihr der Kocher und ein großer Bottich mit benutztem Geschirr.
Wir verschlingen die Suppe, die in einer Schüssel gereicht wird und neben kräftiger, klarer Brühe Reisnudeln und dünne Rindfleischscheiben enthält. Dazu wird immer ein Teller voller frischer Kräuter, Limetten und roten Chilischoten gereicht, um sich die Suppe nach Belieben noch selbst zu verfeinern. Erneut stellen wir fest, dass so eine phở allerdings absolut keine Radler*innenportion ist.

Also gehen wir eine zweite Runde durch die Kleinstadt. Ein kleines Schild und das Wissen, was die Buchstaben darauf bedeuten, bringt uns in ein noch rumpeligeres, aber gemütliches, Etablissement. Es gibt Bánh xèo. Die für Zentralvietnam typischen Pancakes aus Reismehl werden hier über dem offenen Feuer zubereitet. Die Feuerstelle und der rauchige Geruch lassen uns in Gedanken an Nepal verschwinden.
Später rollen wir die deftigen Pancakes mit den auf dem Tisch bereitgestellten Reisteigblättern und dem Gemüse sowie Kräutern ein, sodass eine Art Sommerrolle entsteht. Eine beliebte Art des Verzehrs in Vietnam mit Eigenaktivität und Geselligkeitswert.

Im Morgengrauen schwingen wir uns auf die Räder. Angenehme 25 Grad umgeben uns, es wirkt fast frisch durch den Fahrtwind. Sobald die Sonne die Schatten auffrisst, wird es allerdings wieder unangenehm. Wie in der Sauna bilden sich Tropfen auf der Haut. Später kribbelt es fast schon, wenn die Sonne auf die ständig nasse Haut trifft. Dazu spüren wir am ganzen Körper die Erschöpfung.
Doch diesmal kommt eine weitere Komponente hinzu, jetzt jammern auch unsere Räder. Die Ritzel unserer Schaltung haben ihre Lebenszeit wohl schon leicht überschritten. Es knackt und ratzt. Bei Belli sind die großen Ritzel so gut wie hinüber und das, bevor wir in die Berge fahren. Wir fragen uns, wer nun eher schlapp macht, die Fahrräder oder wir?
Die Antwort ist, die Kamera! Erneut ist unsere Kamera defekt. Es ist der gleiche Fehler wie beim ersten Mal. Wir stehen mitten in der Pampa, sind traurig und enttäuscht, wütend und entsetzt, aber eben auch machtlos. Uns bleibt nichts anderes übrig als weiter in die Pedale zu treten. So lange es noch geht.

Vor uns liegt der Đèo Lò Xo, ein Pass der sich auf knapp 1.000 Meter hinauf schraubt. Die Strecke ist wunderschön. Der Regenwald wirkt intakt, die grünen, vermoosten und verwunschenen Bäume ragen weit in den Himmel. Hier und da schlingen sich Lianen entlang. Wasserfälle stürzen hinab und kleine Bäche sprudeln, bis sie in den größeren Gebirgsfluss münden.

Doch so richtig können wir die Szenerie gerade eben nicht genießen. Die Gedanken verlieren sich im Kreis. Knack! Wieder springt die Kette. Es schmerzt fast, wenn man dieses Krachen hört. Knack! Der erste Gang geht nicht mehr. Knack! Der zweite ist auch am Ende! Knack! Knack! Knack! Die steilen Anstiege müssen wir die Räder nun zu zweit hochschieben. Es ist schwül, heiß und der Schweiß läuft das Gesicht hinunter und tropft vom Kinn auf den heißen Asphalt. Knack!

Was machen wir hier eigentlich? Warum tun wir uns das an?  Wir haben kaum Motivation zum weiterradeln, sind genervt von der ganzen Situation. Unsere Ausrüstung kommt mehr und mehr an ihre Grenzen. Hier ist der Reißverschluss defekt, da gehen die Nähte auf, hier hakt wieder der Reißverschluss. Unsere T-Shirts lösen sich unter der ständigen Salz-Sonne Belastung scheinbar auf und bekommen mehr und mehr ein löchriges Muster.

Wir können uns nicht über unsere Ausrüstung beschweren und das wollen wir auch nicht. Wir haben sie ja auch extremen Bedingungen ausgesetzt, über zwei Jahre lang. Es ist einfach nur wie verhext, dass es nun alles mit einmal kommt. Knack!

Dann sind wir oben, auf dem Đèo Lò Xo! Wie so oft, schafft man es doch irgendwie. Man quält sich, überwindet all diese Abneigung weiterzufahren. Was treibt uns an?
Diesmal ist es wohl das Ziel, irgendwie nach Ho Chi Minh City (Saigon) zu gelangen. Wo wir unseren Rädern eine kleine Erholungskur geben werden und uns eine längere Pause gönnen wollen. Irgendwie die knapp 1.000 km überwinden, die noch vor uns liegen. Irgendwie hoffen, dass die Räder das noch schaffen. Irgendwie…

In Plei Cần, einen Katzensprung von der laotischen Grenze entfernt, legen wir eine kleine Zwangspause ein. Bim fährt mit einem klapprigen Bus sieben Stunden zurück nach Đà Nẵng und besorgt zumindest eine gebrauchte Ersatzkamera, die wir bei unserer Suche nach einer neuen Kameratasche zufällig während unserer „Pause“ entdeckt hatten. Die erste Nacht, die wir auf dieser Reise getrennt voneinander verbringen.

Am nächsten Morgen genießen wir ein letztes Mal einen vietnamesischen Markt. Bei unserem Frühstück an einem kleinen Bánh xèo-Stand werden wir herzlich von Chi unterhalten. Noch mehr, der Neunjährige verkörpert für uns zum Abschluss noch einmal unseren Eindruck der vietnamesischen Lebensart.
Er strahlt nicht nur Selbstbewusstsein, sondern auch eine enorme Leichtigkeit aus. Das ganze gepaart mit einem extra Quäntchen spritzigem Humor und der Kunst, dass Leben nicht allzu schwer zu nehmen. Eine sympathische Lebensphilosophie, die uns hier ganz oft umgibt und von der man sich viel abschauen kann.
Wir verlassen Vietnam erneut mit einem wehmütigen Gefühl. Ein wunderschönes Land, dass uns vor allem durch seine besonderen Menschen sehr gut gefällt.

Wir rollen zu den gewohnt monumentalen Grenzgebäuden. Zwei Stempel später sind wir auch schon wieder in Laos. Wieder geht alles reibungslos. Der Grenzbeamte auf der vietnamesischen Seite fragt uns lediglich, nachdem er den Stempel bereits in den Pass gedrückt hat und die Pässe noch in seiner Hand hält, nach 50.000 Dong (ca. 2 €). Wir fragen wozu und er antwortet: „Für den Kaffee.“ Darauf erwidern wir lächelnd, wir wollen keinen Kaffee. Er wirkt genervt und wirft uns die Pässe halb entgegen. War das der zaghafte Versuch von Korruption?

Wir sind also zum zweiten Mal in Laos und wollen doch diesmal mit einer besseren Grundstimmung das Land erkunden, doch irgendwie ist diese schon wieder denkbar schlecht. Zumindest haben wir keine Erwartungen, so wie beim letzten Mal. Wobei wir doch einen Funken Hoffnung in uns tragen, dass es diesmal anders wird. Als wir die erste Siedlung im Südwesten von Laos erreichen, erlischt diese Hoffnung schnell.
Der verschlafene Ort befindet sich irgendwo im Nirgendwo umgeben von Bergen und Regenwald, wobei dies nicht so romantisch ist, wie es jetzt vielleicht klingt. In den Straßen gibt es wieder nur Schrott zu kaufen. Keine Früchte, keinen Markt! Als wir die erste, scheinbare Unterkunft erreichen, lacht uns ein korpulenter Mann an und kreischt fragend „Bum Bum“ während er seine Hände zusammenschlägt und auf die kleinen Hütten zeigt, aus denen gerade mehrere stark geschminkte Frauen hinauskommen- ein sehr ungewöhnliches Bild für Laos. Uns fallen all die LKW auf, die hier parken. Wir suchen schleunigst das Weite.
Laut Google soll es noch eine weitere Unterkunft geben. Wir radeln ein paar Meter aus der „Stadt“ hinaus. Tatsächlich! Was von außen recht gemütlich aussieht, entpuppt sich von innen jedoch als eine erneute Rumpelbude. Die Wand besteht fast mehr aus Schimmel als aus Farbe. Aber was haben wir schon für eine Wahl…
Dann entlädt sich der Himmel, es schüttet ohne Ende. Das Donnern ist ohrenbetäubend laut. Nach dem der Regen sich beruhigt, ist die Luft feucht. Alles ist klamm, wie soll man hier auch den Schimmel fernhalten können?

Am Abend streifen wir durch die Siedlung und versuchen erneut etwas zu Essen zu bekommen. Ein Restaurant, das groß mit Reis wirbt, ist unsere dritte Anlaufstelle. Auf die Frage nach Reis stolpert die grummelige Frau zum Reiskochtopf, öffnet den Deckel, schüttelt den Kopf und geht zurück in ihre Ecke. Dann eben doch wieder phở. Ansonsten versuchen wir verzweifelt nach einer Lösung für unsere defekte Kamera zu suchen, aber auch da sind die Aussichten momentan eher schlecht…

Am nächsten Morgen klingelt der Wecker gewohnt früh. Draußen ist es noch dunkel und die Motivation hat uns scheinbar vollends verlassen. Man hat einfach keine Lust aufzustehen, keine Zuversicht, keine Lust auf die bevorstehende Bergetappe, so einfach gar keine Motivation.

Doch wie schon Erling Kagge in seinem Buch „Philosophie für Abenteurer“ beschreibt: „Das Wichtigste ist morgens aufzustehen!“

Jetzt liegen wir zwar nicht bei -15 Grad in einem Zelt am Mount Everest, aber das quälende Gefühl, die Komfortzone zu verlassen, haben wir, wie so oft auf unserer Reise, eben auch hier. Nachdem wir uns aus dem Bett winden, uns die feucht-nassen Sachen überstreifen, mit schweren Beinen auf die Räder steigen und die ersten Meter rollen, ist doch alles schon nicht mehr so schlimm, wie vor einer halben Stunde im Bett!

 

Wir lassen all die negativen Gedanken hinter uns und genießen die Natur. Der Regenwald scheint gerade zu erwachen. Wolken umhüllen die Bäume, es wirkt als dampft der ganze Wald! Die Sonne schiebt die ersten Strahlen durch die dichten Baumkronen. Wasser rauscht, Insekten zirpen, Vögel singen und wir hören sogar Affen kreischen.
Eine wirkliche Seltenheit in Laos, zumindest in den erschlossenen Gebieten. Das es hier NOCH den Anschein einer Tierwelt gibt, liegt wohl daran, dass wir uns in einem eigentlich geschützten Gebiet befinden. Trotzdem hat jeder dritte Mopedfahrer ein Gewehr auf dem Rücken und wir hören immer wieder Schüsse aus dem Wald wiederhallen.

Wir genießen die lange Fahrt durch den Regenwald und die atemberaubende Naturlandschaft, bis der nächste Anstieg vor uns liegt. Knack! Da war ja was! Die Landschaft ist zwar nicht weniger schön, aber wir eben auch blitzartig wieder im Durchhaltemodus. Knack!
Doch wieder mühen wir uns nach oben. Sagen uns immer wieder, wenn wir oben sind, sind es nur noch zwei Anstiege bis zum Mekong. Knack! Zwei Anstiege bis zum flachen Terrain, welches uns bis nach Ho Chi Minh City begleitet. Knack! Irgendwie werden wir es schon schaffen. Knack!

Dann meldet sich irgendwann unser Bauch, denn außer ein paar trockenen Kekskuchen, haben wir heute auch noch nichts gegessen. Angeblich soll vor dem nächsten Anstieg eine kleine Siedlung kommen. Das hat uns die phở Verkäuferin jedenfalls gestern versichert und ja, Kilometer 52, wie die Ortschaft heißt, bietet tatsächliche ein urbanes Gebiet.
Jetzt verstehen wir auch die Frau von gestern besser, die uns auf die Frage nach Wasser und einem Restaurant auf der bevorstehenden Strecke eine doch recht genaue Antwort gegeben hat: „52 Kilometer!“

Wir halten an einem Marktstand mit Stühlen und Tischen. Nudeln, Reis, und Springrolls liegen auf einem folierten Styroporteller im Schatten der Mittagssonne. Auf der anderen Straßenseite Spieße mit gegrilltem Fisch und anderen Tieren. Ventilatoren vertreiben die Fliegen. Wie lange liegt das alles schon hier?
Wieder zurück auf der anderen Seite begeben wir uns nach Innen und sehen wie die lustige Frau gerade die Nudeln aus einer riesigen Schüssel auf den Styroportellern verteilt. Wir wagen uns an das Essen heran und es ist einfach nur köstlich! Wir nehmen direkt noch eine Portion!

Was das Essen doch ausmacht, spüren wir immer wieder. Nicht nur, dass man überhaupt satt wird, auch wie man satt wird, ist eine wohl nicht zu unterschätzende Komponente. Es heißt, der Magen habe eine besondere Verbindung zum Gehirn und hat sogar ein eigenes Nervensystem. Du bist was du isst oder du bist wie du isst! Wir können diese Aussagen nur unterschreiben, denn uns geht es schlagartig besser!

Zum Hände waschen können wir das Wasser aus der Küche benutzen. Was wir da sehen, ist auf eine gewisse Weise doch schon recht normal für uns geworden und doch eigentlich so fern von all dem, was man sich unter europäischen Hygienestandards vorstellen mag.
Die Töpfe liegen auf dem Boden verteilt. In einem großen Blechkessel stapelt sich das benutzte Geschirr. Fliegen schwirren überall herum und die Nagetiere verstecken sich wohl gerade nur vor uns. Auf der Kochstelle steht ein riesiger Bottich. Der Inhalt verbreitet einen unangenehmen, säuerlichen Geruch. Wasser gibt es aus einem großen Behälter. Wir schöpfen die warme Brühe mit einem Messbecher und lassen es über unsere Hände laufen. Im Wasser schwimmen irgendwelche weißen Fäden.

Wir sitzen schon wieder auf den Rädern und genauso schlagartig, wie die Energie und gute Stimmung mit dem Essen kamen, verschwinden sie auch wieder. Knack! Es geht wieder hinauf, steil hinauf! Knack! Jetzt knackt auch bei Bim die Schaltung! Die Räder sind einfach nur am Ende. Knack! Knack! In der prallen Nachmittagssonne würgen wir die Räder irgendwie nach oben. Dann sehen wir eine weite Ebene vor uns. Hoffnung kehrt zurück, jetzt liegt nur noch ein Anstieg vor uns. Vielleicht halten die Räder ja doch durch!

Aber die Achterbahn der Gefühle geht nach diesem kurzen freudigen Hoch eben auch wieder nach unten. In der Ebene bläst uns jetzt ein kräftiger Wind entgegen. Ein ermüdender Wind. Der Himmel zieht sich zu und es liegt bereits wieder eine Gewitterstimmung in der Luft.

Wir tanken Energie an einem Stand mit frischen Kokosnüssen. Mit einer Machete wird der obere Teil abgeschlagen, bis ein Loch in der Kokosnuss entsteht. Das Wasser wird anschließend in einen Becher mit Eiswürfeln gegeben. Das Beste kommt jedoch noch. Die Frau schlägt nun die Kokosnuss vollends auf und schabt das Fruchtfleisch ab und gibt es in den Becher. Ein Hochgenuss bei den Temperaturen!
Eine Holzpalisade hinter diesem Schauspiel wird gerade ein Moped zusammengeschraubt. Den Mann haben wir zuvor schon auf der misslungenen Probefahrt gesehen. Während wir nun den Fruchtcocktail genießen, kommt ein anderer Mann auf dem Moped angesaust. An seinem Gürtel ist, wie so oft, eine Machete befestigt. Auf der anderen Seite steckt ein kleiner Ventilator im Hosenbund. Nachdem er eine Weile dasteht, deutet die Frau an, er solle sich schon mal selbst bedienen. Er holt zwei Plastikfaschen aus seinem Moped und befüllt sie mit Benzin. Der Plastikkanister steht direkt neben der Schubkarre mit den frischen Kokosnüssen. Nun tritt ein Hahn dem Geschehen bei und zieht unsere ihm folgenden Blicke mit sich. Er wühlt sich durch die Kokosnussschalen. All das ist einfach so alltäglich für uns geworden.

Mit neuer Energie bringen wir nun auch die 40 Kilometer noch über die Zeit. Auf der einen Seite sind Plantagen mit Kautschuk, auf der anderen Bananen. Die fast fertigen Stauden sind in blaue Plastiktüten eingehüllt. Später werden die Plantagen wieder von Reisfeldern abgelöst.

Völlig erschöpft fallen wir am Abend in unser Bett in Attapeu und denken mit ganz anderen Gefühlen an den motivationslosen Morgen an der verschlafenen Siedlung hinter der Grenze. Es hat sich, wie immer, gelohnt aufzustehen!

Am Morgen ist man dann stets mit dem Zwiespalt konfrontiert, etwas länger zu schlafen oder eben in den etwas kühleren Stunden radeln zu können. Als der Wecker klingelt, hören wir das Prasseln der Regentropfen. Es ist ein wunderschönes Geräusch, denn es sagt uns, dass das Aufstehen jetzt sinnlos wäre, denn bei dem Regen können wir ja sowieso nicht fahren. Jedenfalls ist es das, was wir uns in der Situation gern einreden. Wir nicken uns nur zu, drehen uns nochmal um und gönnen uns eine weitere Stunde Schlaf.

Für heute haben wir eigentlich sowieso nicht viel geplant. Doch wenn man einen Satz mit eigentlich liest, weiß man ja schon was kommt. Wir erreichen gegen Mittag ein schäbiges Motel an der Straße, kurz bevor es auf das Bolaven Plateau geht, unsere letzte Bergetappe. Zumindest gibt es in der Unterkunft ein Zimmer mit Fenster, was auch so ganz passabel ist.
Bevor wir uns endlich unter eine kühlende Dusche stellen können, trinken wir höflicherweise ein Glas Wasser mit dem Besitzer, welches er uns anbietet. In der Zwischenzeit kommen zwei Männer, grüßen nicht und gehen in das Motel. Als wir dann in unser Zimmer wollen, liegen die beiden in unserem Bett. Wir fragen, was das soll? Die beiden schauen nur arrogant drein und machen nicht den Anschein, sich aus dem Bett zu bewegen. Der Besitzer sagt nur: „Hm, have other rooms!“, was bedeutet, da ist noch eine Rumpelbude ohne Fenster. Wir protestieren und er erwidert nur: „But the Chinese People!“ Dann gibt er uns das Geld zurück und sagt in 20 Kilometern sei das nächste Hotel! Allerdings 20 km in die falsche Richtung!

Genervt und stinksauer verlassen wir das Motel, was bedeutet, dass unsere letzte Bergetappe bereits heute ansteht. Es ist kochend heiß und schwül, wir haben keine Lust und doch strampeln wir in Richtung Plateau. Knack! Knack! Die Steigung beginnt. Am frühen Nachmittag zieht sich der Himmel zusammen, es wird dunkel und das Donnern holt uns ein. Knack! Knack! Mittlerweile ist es wieder so steil, dass wir zu zweit schieben müssen.

Als uns ein Kleintransporter überholt, winken wir ganz wild. Er hält an. Mit Händen und Füßen deuten wir auf die Ladefläche und irgendwann versteht der Mann, was wir wollen. Kurze Zeit später sitzen wir neben Schaufeln und Kies auf Zementsäcken und sind einfach nur froh, dass uns diese Bergetappe erspart bleibt.
Dann sind wir oben, auf dem Bolaven Plateau, der letzten großen Erhebung auf unserem Weg nach Ho Chih Minh City. Die schwerste Aufgabe haben unsere Räder also schonmal gemeistert.

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Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Karen Schröder

    Liebe Reisende! Möge eure Reise in Zukunft mehr königlich verlaufen und eure Drahtesel mehr „Futter“ kriegen … Es ist erstaunlich, wie viel über vietnamesische Streetfood bekannt ist. Vielleicht liegt das an den interessierten Reisenden und den Kochbüchern über diese Reisen…. Die Landschaft dort kann man auch ganz toll auf Kalendern zu diesem Land sehen…. Viele trockene Klamotten, reparierte Fahrräder und frischen Mut in Ho Chi Minh City wünschen euch die Nordlichter Renate u🍜🍛🥡

  2. Thomsen

    Schön zu lesen, dass euch der Mut, die Kraft und letztendlich doch auch das Glück nicht ganz verlassen hat.
    Hat sich das „Zähne zusammenbeißen“ und die erste getrennte Nacht gelohnt, wie man aus dieser wunderschönen Episode erlesen und ersehen kann.
    Wir möchten einfach mal nur Danke sagen, dass ihr uns so ehrlich, phantasieanregend und dauerhaft an eurem Lebenswerk teihaben lasst.

    Nun wünschen wir euch, den Fahrrädern und der Kamera erstmal ein paar entspanntere Tage mit hoffentlich genügend Fährverkehr auf dem Neun-Drachen-Fluss, sodass ihr dann hoffentlich etwas ausgeruhter das Saigon-Gewusel wahrnehmen könnt.

    Mit lieben Grüßen aus heimatlichen Gefielden,
    Krümel & Thomsen
    ~~~~~~~~~~~~~~~~

  3. Adeline

    Hey ihr Lieben,
    wir wünschen euch, dass ihr eure Räder wieder fit bekommt! Hoffentlich habt ihr nun erstmal Zeit um euch zu erholen und Kraft zu tanken!
    Es ist immer wieder schön zu lesen, was ihr erlebt. Dankeschön, dass ihr uns teilhaben lasst!
    Wir wünschen euch alles Liebe, nette Menschen um euch herum und ganz viel Glück!
    Paul, Steffen und Adeline 🤗