Wir reisen durch die farbenprächtigen Städte vom Wüstenstaat Rajasthan. Doch in unserem Fall hat Rajasthan recht wenig mit der Wüste zu tun, denn uns zieht es vor allem in die grünen und bunten Gebiete des Bundesstaates.

Viel Spaß beim Lesen!

Es fällt im Allgemeinen sehr schwer sich vorzustellen, dass dieses riesige Indien ein einziges Land sein soll. Natürlich war uns vorher klar, dass es nicht das eine Indien gibt, aber nach einigen Wochen verstehen und spüren wir doch immer mehr, was Vielfältigkeit in Indien wirklich bedeutet.
Es sind einfach so utopische Zahlen, die man mit Indien verbindet. Es leben hier ca. 1,4 Mrd. Menschen! Auf einem Quadratkilometer leben mehr als doppelt so viele wie in Deutschland. Doch was bedeutet schon ein Durchschnitt, bei einer so riesigen Fläche? Indien ist gut neun Mal so groß wie Deutschland und es gibt weite Flächen mit Wüste, Dschungel, Bergen sowie bewirtschafteten Feldern. In den Ballungsgebieten kommt es daher zu einer noch viel höheren Konzentration an Menschen. In Delhi leben über 22.000 Einwohner*innen pro Quadratkilometer, das sind gut fünfmal so viele wie in Berlin! Tendenz rasant steigend!
Neben den Zahlen, die doch eher an einen Kontinent als an ein Land erinnern, spricht auch die kulturelle Vielfalt für etwas Größeres. Tatsächlich gibt es 22 offiziell in der Verfassung anerkannte Sprachen in Indien. Wir erfahren von einer Reisenden aus Nordindien, dass sie sich im Süden als Ausländerin fühle, denn dort sei alles anders und sie würde niemanden verstehen. Gäbe es da nicht Englisch, ein Überbleibsel aus der britischen Kolonialherrschaft und die Sprache der zentralen Regierung, die deshalb aber bei weitem nicht jede/r beherrscht. Wir sind in der Hindi-Zone (Desh Hindi) unterwegs, in der Hindi als weitere offizielle Sprache gilt und die sich über Weite Teile Nordindiens erstreckt.
Indien ist nicht gleich Indien, Nordeuropa ist nicht gleich Südeuropa und Norddeutschland ist nicht gleich Süddeutschland. Was im Kleinen gilt, verstärkt sich hier wohl noch mehr im Größeren. Das eine Indien gibt es also nicht. Wir befinden uns nun in einem von 36 Bundesstaaten Indiens (28 Bundesstaaten und 8 Unionsterritorien). Rajasthan könnte die Kontraste nicht besser aufzeigen, diesmal in Hinblick auf die Natur. Es reicht von staubiger, weiter Wüste mit Kamelen im Westen bis hin zu grünem Dschungel mit Tigern im Osten.

Am späten Abend erreichen wir den Bahnhof in Jaipur. Wir schlängeln uns vorbei an den nervigen Schleppern und Rikschafahrern bis zu unserem Uber-Taxi, welches uns direkt zum Haus von Monty’s Tante bringt. Wir kommen mal wieder via Warmshowers unter, jedenfalls so etwas in die Richtung. Früher haben Monty und Harshita ihre Gäste noch bei sich empfangen, doch durch Covid und die Geburt ihrer Tochter Gina, hat sich die Situation geändert.
Trotzdem möchten die beiden früheren Langzeitreisenden etwas zurückgeben und Gäste bei sich empfangen. Monty’s Tante besitzt eine neue Ferienwohnung im Süden der Stadt, die Monty und sein Cousin verwalten. Wir dürfen für eine Nacht kostenlos übernachten und für jede weitere bekommen wir einen unschlagbaren Preis. Das Einzige was wir dafür machen sollen, eine Bewertung schreiben.
Wie so oft, denn eine gute Bewertung ist wohl eine sehr wichtige Sache. Vor kurzer Zeit erzählte uns irgendjemand, dass die Portale wie Couchsurfing und Warmshowers in Indien wohl zunehmend von der Reise- und Tourismusbranche genutzt werden. Nun dämmert uns so langsam, was damit gemeint war. Irgendwie Schade, denn eigentlich sollte es ja viel mehr um einen kulturellen Austausch gehen und kein, ich stell dir einen Schlafplatz für eine gute Bewertung – Deal sein. In unserem Fall ist es aber zum Glück nicht so, denn die beiden sind auch wirklich an uns und einem echten Austausch interessiert, auch wenn wir mehrfach auf nette Art und Weise gebeten werden, später eine Bewertung für den Kochkurs und das Air BnB zu schreiben, was wir natürlich liebend gern tun.

Wir genießen es, in einer richtigen Wohnung zu sein. Eine Art zu Hause zu haben, jedenfalls für zwei Tage. Am Abend laufen wir durch die kleinen Gassen und suchen uns in mehreren Läden, einem kleinen Gemüseholzkarren und an einem separaten Eierstand, für den wir wiederum eine Straße und zwei Ecken weiter gehen müssen, unsere Sachen für das Frühstück zusammen. Dass man seinen kompletten Einkauf an nur einem Ort erledigen kann, sehen wir mehr und mehr als Luxus an. Andererseits geht man wohl auch bewusster einkaufen, wenn man für fast jedes Produkt einen extra Weg gehen muss.
Am Abend fallen wir dann in das gemütliche Bett, aber ohne unsere Ohropax ist, wie so oft, nicht an Schlaf zu denken. Wir befinden uns im Kreuzungsbereich zweier Umgehungsautobahnen der Stadt, doch diese Geräuschkulisse ist mit Abstand das geringste Übel. Laute Musik dröhnt durch die Fenster, die zugegeben nicht wirklich dicht sind. Denn diese Fenster bestehen hier lediglich aus einer Fliegengitterstruktur aus Metall und ohne Glas. Im Norden von Indien ist gerade Heiratssaison und das führt dazu, dass fast jeden Abend irgendwo eine Party steigt. Für unsere empfindlichen Ohren fühlt es sich an, als findet diese direkt in unserem Zimmer statt. Später wird alles mit einem Feuerwerk untermalt und irgendwann gegen Mitternacht kehrt Ruhe ein. Das heißt, man hört nur noch die Autobahn, das Hupen von Autos vor dem Haus und Gebell von den Hunden.

Am nächsten Tag lernen wir unsere Gastgeber Monty und Harshita persönlich kennen. Die beiden haben uns zum gemeinsamen Kochen in ihre Wohnung eingeladen. Als wir ankommen, steht Monty schon winkend auf dem Balkon. Die Putzfrau fegt gerade noch durch die Wohnung, Harshita bringt die kleine Gina ins Bett und Monty erzählt uns währenddessen, dass er eigentlich Tourguide für authentische Reiseerlebnisse ist, aber er und seine Frau sich durch Covid neu erfinden mussten. Seitdem bieten sie Indisch-Kochkurse bei sich zu Hause und auch online an.
Wenig später erleben wir unsere erste, indische Willkommenszeremonie, bei der wir von Harshita eine Ringelblumenkette um den Hals gelegt und einen Punkt mit leuchtendem Pulver auf die Stirn gemalt bekommen. Als Gina in ihren wohlverdienten Mittagsschlaf fällt, beginnt unsere gemeinsame, indische Kochstunde, auf die wir uns schon riesig gefreut haben.
Wir bereiten zunächst kleine dumplings aus Kichererbsenmehl zu. Sie kommen später ins curry, was hier keinesfalls die Gewürzmischung meint, sondern das Gericht selbst. Doch zuvor werden wir noch ins Geheimnis des chapati Backens und der Zubereitung des masalas eingewiesen. Die indische Gewürzmischung ist in jeder Küche individuell, besteht aus frischem Knoblauch, Chilli, Ingwer, Pfefferkörnern sowie einer Palette an indischen Gewürzen und wird zumeist im Mörser zubereitet. In der Pfanne brutzelt schon das Cumin im Senföl, denn so beginnt wohl fast jedes indische Gericht. Im Anschluss werden Zwiebeln, grüner Chilli, Tomaten und Gemüse angebraten und das masala hinzugefügt. Eine Prise hing (the secret of india) darf nicht fehlen. Ein wunderbarer Duft steigt in unsere Nasen und das Kochen bringt richtig viel Spaß. Das Essen wird in Indien traditionell auf einem thali, einem Teller aus Edelstahl mit verschiedenen Einkerbungen, angerichtet und mit einem Löffel oder ausschließlich mit den Händen verspeist. Benutzen sollte man dabei immer die rechte Hand, denn die linke Hand gilt als unrein. So oder so, unser rajasthanisches Gatta Curry ist köstlich!          

Mit dem Sonnenaufgang machen wir uns auf den Weg ins Zentrum der Stadt. Monty und Harshita haben uns ans Herz gelegt, den lokalen Blumenmarkt zu besuchen. Sie selbst besuchen ihn einmal pro Woche. Aus den bunten Blüten binden sie Ketten für Besucher*innen oder als Opfergabe für den Tempelbesuch. Die farbenfrohen Blumen gehören einfach zur Kultur und sind allgegenwärtig.
Der Markt öffnet mit den ersten Sonnenstrahlen und nach ein bis zwei Stunden, wenn die Sonne über die Dächer schaut und den schützenden Schatten auffrisst, beginnen die Händler*innen langsam mit dem Einpacken und dem Zusammenrollen der großen Tücher, auf denen die bunten Blüten zuhauf liegen.
Die Stimmung ist wunderbar, die frische Morgenluft liegt über dem Markt. Frauen und Männer sitzen im Schneidersitz vor ihrem bunten Blumenberg und binden Ketten. An kleinen Chai-Ständen wird das wärmende Getränk verkauft. Auch wenn es für die Blumen schon bald vorbei ist, das Treiben an sich wird immer geschäftiger und lebendiger, denn eine Gasse weiter befindet sich der Gemüsemarkt.

Die Verkäufer*innen sitzen auf dem Boden, vor ihnen liegen all die leckeren Sachen, die wir kennen oder neugierig bestaunen, bis wir mit einem Lächeln begrüßt werden und uns versucht wird zu erklären, was dies ist. Dass wir kein Hindi sprechen, verstehen die Menschen oft nicht und als ob es helfen würde, sprechen sie einfach etwas lauter.
Frauen balancieren die Säcke mit dem Gemüse durch die dichten Marktgassen zu den jeweiligen Ständen. An einem LKW stehen sie Schlange, bevor ihnen der Sack auf den Kopf gehievt wird. Es ist einfach ein ganz besonderes Erlebnis.

Wir nehmen ein Rikscha zum Man Sagar, einem See der im Norden der Stadt liegt. Die Sonne steht noch tief und verleiht dem Jal Mahal, einem Palast (mahal), der aus dem See ragt, eine mystische Stimmung. Die Promenade zeugt von lebhaftem Trubel, doch jetzt am Morgen, sieht es eher nach Katerstimmung aus. Ein Weg führt um den See herum und wir genießen den Ausflug ins Grüne umgeben von Ruhe.

Ein kleiner Pfad führt uns in den Wald. Irgendwann erreichen wir Stufen, die immer weiter nach oben führen und an deren Ende ein kleiner Tempel steht. Herzlich werden wir begrüßt und näher heran gewunken. Ein Mann kommt zum Übersetzen und fragt uns, ob wir uns heute schon gewaschen haben. Wir nicken verdutzt und er deutet an, dass wir den Tempelbereich nun betreten dürfen, barfuß natürlich. Wir knien uns etwas unbeholfen vor die Gottesfigur, welche in hellen Neonfarben erstrahlt, ohne zu wissen, was wir da eigentlich machen, außer natürlich Respekt zu zeugen. Im Anschluss führt der Mann uns ein paar Meter weiter zu einer kleinen Feuerstelle. Drei Männer bereiten hier in einer großen Pfanne Essen zu, frittierter Blumenkohl. Wir bekommen direkt eine Schale gereicht.
Der Mann erzählt uns, dass er jeden Morgen zum Sonnenaufgang hier her kommt. Dann halten alle zusammen, aber doch jeder für sich, eine eigene Zeremonie ab. Für ihn besteht diese aus einer Art Yoga-Meditation, andere meditieren ausschließlich, jeder wie er mag. Anschließend wäscht man sich, man betet zusammen und das Essen wird gemeinsam zubereitet.

Unser Runde um den See endet an der autobahnähnlichen Schnellstraße außerhalb des Stadtgebietes. Für den Weg zurück nehmen wir eine Sammelrikscha. Reingequetscht zwischen all den Frauen bzw. halb neben dem Fahrer geht es nach Galta. Das Straßenbild wirkt hier etwas ärmer, etwas einfacher als das so schick und modern wirkende Jaipur im Süden, wo wir untergekommen sind. Kleine Stände reihen sich aneinander, Wasserbüffel trappen in ihrer entspannten Eleganz durch die Straße, Holzkarren werden vor uns hergeschoben und kleine Lagerfeuer dienen als Kochstelle. Neben Häusern erblicken wir auch öfters zeltähnliche Behausungen.

Vor uns liegt ein kleiner Spaziergang über die Hügel von Jaipur zum Affentempel. Der Name ist schon auf dem Weg dahin Programm und wir können uns gar nicht satt sehen an den kleinen und großen Makaken. Man könnte ihnen stundenlang zusehen und immer wieder menschliche Mimik und Gestik erkennen.

Zwischen den Hügeln erblicken wir dann den Tempelkomplex. In einem Wasserbecken nehmen Männer und Frauen ein heiliges Bad. Bunte, aber vor allem die leuchtenden roten und orangenen Farben sind überall. Die heiligen Affen und Kühe gehören hier wohl zum ständigen Inventar des Tempels. Sanfte Musik ertönt durch die Lautsprecher und ab und an hört man das Läuten einer Glocke, was zum Ritual des Betretens einer der Tempel gehört, um die Aufmerksamkeit der Göttinnen und Götter zu erlangen. Wir genießen die besondere Atmosphäre dieses Ortes.

Auf dem Weg zurück in die Stadt machen wir noch einen Abstecher zum Sonnentempel, der auf der ersten Hügelreihe hinter Jaipur thront. Der Name zeugt von der Anbetung der Sonne, deren Auf- und Untergang man von hier aus wunderbar beobachten kann.

Nach unseren ersten Tempelerfahrungen und all den Eindrücken des halben Tages, suchen wir Zuflucht in einem Cafe mit europäischem Charakter. Es gibt richtigen Kaffee und es ist ruhig. Die Preise sind ebenfalls europäisch gehalten, doch diesen Luxus gönnen wir uns. Es ist für uns scheinbar die einzige Möglichkeit, der bunten, lauten, eindrucksstarken indischen Umgebung zu entkommen und kurz durchzuatmen. Wir bemerken erst in diesem Moment, dass wir schon wieder in einer Stadt mit über drei Millionen Einwohner*innen sind und doch wirkt es für uns nach Delhi nur wie eine weitere größere Stadt. Wie schon in der Türkei haben sich unsere Bezugsgrößen ganz schön verschoben.

Das Jaipur eine gewisse Größe hat, merkt man auch daran, dass das Angebot an Warmshowers recht hoch ist und so kommen wir auch bei Chinmay nochmal für eine Nacht unter. Er ist leidenschaftlicher Radfahrer und war erst vor einiger Zeit mit dem Rad länger in Südindien unterwegs.
Wir erreichen das mehrstöckige Mehrfamilienhaus von Chinmay. Der auch gerade in diesem Moment ankommt. In seinem Auto sitzen noch seine Schwester und ein Freund. Zusammen gehen wir nach oben zur Wohnung der Familie. Als er die Tür öffnet schwabbt ein heiteres Geschwätz aus dem Wohnzimmer, welches man direkt betritt. Es sitzen bestimmt 15 Personen um einen kleinen Tisch herum und im ganzen Zimmer verteilt. Chinmay stellt uns vor, führt uns schnurstracks in sein Zimmer und sagt, wir sollen erst einmal ankommen. Die Gäste draußen seien die Hälfte der Verwandtschaft, sein Vater habe acht Brüder. Drei Brüder und Familie wohnen in der gleichen Etage des Hauses, ein großes Bild der gemeinsamen Großmutter schmückt den Etagenflur. Die Anderen wohnen entweder eine Etage drunter oder ganz in der Nähe. Jeden Sonntag treffen sie sich irgendwo, Essen gemeinsam und verbringen dann den Nachmittag zusammen.
Apropos Essen, wir werden auch schon bald an einen kleinen Tisch gesetzt und Chinmays Mutter und seine Schwester tischen uns eine Leckerei nach der anderen auf. Wir bedanken uns für jedes roti (dünnes Fladenbrot) und dies führt jedes Mal zu einem fragenden Lächeln. Chinmay erklärt uns, es sei nicht üblich sich jedes mal zu bedanken, man sage dies am Anfang und den Nachschlag nimmt man einfach nur noch entgegen. Wir können uns das danevan trotzdem nicht verkneifen. Der Kulturaustausch soll ja auch in beide Richtungen stattfinden.
Nach dem Essen bringt uns Chinmay wieder in sein Zimmer. Durch die offene Tür können wir das muntere Geschnatter beobachten. Chinmay verschwindet und wir sitzen jetzt etwas hilflos auf dem Bett. Nach ein paar Minuten gehen wir einfach ins Wohnzimmer und klinken uns in die munteren Unterhaltungen ein. Bis irgendwann einer nach dem anderen nach Hause geht und nur die Ruhe zurückbleibt.
Zum Schlafen bringt uns Chinmay in eine weitere, leerstehende Wohnung auf der Etage. Wir können es fast nicht glauben, aber wir haben eine ganze Wohnung für uns allein, während Chinmay und seine Schwester in den „Kinderzimmern“ bei ihren Eltern in der Wohnung schlafen.

Jaipur ist neben Agra und Delhi die dritte Stadt des goldenen Dreiecks in Indien. Die Bezeichnung bezieht sich auf die vielen kulturellen und architektonischen Schätze, die es hier und da zu finden gibt. Außerdem wird dies auch in der Tourismusbranche gern als attraktive Route vermarktet. Die Städte liegen eng beieinander und man muss ein wenig aufpassen, dass man sich nicht so stark im Sightseeing verliert. Jedenfalls geht es uns so, dass wir zwar beeindruckt sind, von all den mächtigen Bauten, doch es irgendwann auch einfach zu viele werden.

Jaipur hat einige dieser majestätischen Gebäude zu bieten, wir besichtigen allerdings kein einziges. Wir belassen es bei einem Spaziergang durch die Bazargasssen, vorbei an den Palästen und historischen Gebäuden. Dabei stellen wir fest, dass The Pink City Jaipur für uns nicht wirklich pink ist, sondern der Farbton eher an ein rostiges Rot erinnert.

Doch so richtig wohl fühlen wir uns nicht in der geschäftigen Altstadt. Es wirkt für uns sogar hektischer und lauter als in Delhi. Die Straßen sind viel enger, es versuchen sich aber gefühlt genauso viele Menschen und vor allem genauso viele Mopeds hindurch zu quetschen. Vielleicht sind wir aber auch einfach zu angespannt und gereizt. All die Eindrücke, die fehlende Ruhe, die kaum zu erlangenden Pausen, zerren an den Nerven.

Von der Pink City reisen wir mit dem Zug in die Blue City. Die Häuser der Altstadt von Jodhpur erstrahlen diesmal allerdings wirklich in Blau. Die Farbe sollte in der Vergangenheit die Zugehörigkeit zur Kaste der Brahmanen darstellen. In der obersten Kaste fanden sich vor allem die gelehrten Priester wieder, die dies durch ihre blauen Hausfassaden nach außen kommunizierten. Heute, wo das Kastensystem (hoffentlich) auf dem Rückgang ist, sieht man es mit der Zugehörigkeit nicht mehr so eng und die Farbe ist schlicht zum Sinnbild für Jodhpur geworden. Zudem erzählt man sich, dass die Farbe auch ein guter Mückenschutz sei.


In vielen Gassen ist das Blau nur die Hintergrundfarbe für modern geprägte Street Art. Bunte Kunstwerke zieren die Hausfassaden und schaffen so eine gemütliche Atmosphäre. Es heißt die blaue Bemalung war in der Vergangenheit eine Art Graffiti-Kunst. Die Stadt ist sich also treu geblieben und überführt die Tradition kunstvoll in die Moderne.

In Jodhpur kann man sich wunderbar zwischen den Häusern verlieren, um das bunte Bazartreiben zu genießen. Auf uns wirken die Marktgassen viel entspannter als in Jaipur. Vielleicht ist der indische Straßentrubel aber auch einfach schon ein Stück weit Normalität für uns geworden. Während unserer Reise stellen wir immer wieder fest, wie schnell bestimmte Dinge in einem Land für uns alltäglich werden, z.B. die Kühe mitten auf der Straße oder eine ganze Familie geballt auf einem Moped sitzend. Der leckere Safranlassi und die Safrankekse sind aber auch für uns Neuland. Einfach nur köstlich!

Über den blauen Hausfassaden der Altstadt thront das imposante Mehrangarh Fort, eine riesige Festung. Da ist wieder dieser Zweispalt in uns, denn auf der einen Seite ist man jetzt hier, möchte am liebsten alles sehen, denn wer weiß, ob man jemals wieder herkommt. Auf der anderen Seite muss man aber auch aufpassen, dass man sich nicht im Sightseeing verliert. Wir haben für uns festgestellt, dass nicht nur weniger mehr ist, sondern es viel mehr auf die Intensität des Erlebten ankommt.
Die häufig für Ausländer*innen sehr teuren Eintrittspreise in Indien, machen uns die Entscheidung diesmal leichter. Wir betreten das gigantische Bauwerk daher durch den Hintereingang, denn hier muss man das Ticket erst am Museum und nicht direkt am Eingangstor vorzeigen. Für uns sind die Gebäude ohnehin meist viel interessanter als irgendwelche beschrifteten Ausstellungsstücke in Vitrinen. Außerdem befinden wir uns so auch abseits des ganzen Trubels, der uns am Haupteingang begegnete.

Beim Schlendern durch die Stadt begegnen wir auch hier wieder der für uns neuen Tierwelt. Die Affen (Makaken und Languren) balancieren gekonnt über die Dächer oder schwingen sich von Ast zu Ast, um den ein oder anderen Snack zu ergattern. Man kann nahezu überall flitzende Streifenhörnchen erblicken und auch die grünen Halsbandsittiche sowie Steppenadler ziehen ihre Kreise über uns.

Am Abend wollen wir uns einfach nur ins Bett fallen lassen und endlich zur Ruhe kommen. Doch das soll uns auch diesmal verwehrt bleiben. Die Ohropax werden von einem nützlichen zu einem dringend notwendigen Utensil. Unser Zimmer ist direkt an einer kleinen, steilen Straße. Jedes zweite Moped schafft die Steigung erst im zweiten Anlauf, dann aber mit ordentlich Vollgas. Dazu werden die Passant*innen lautstark darauf hingewiesen, dass sie doch bitte aus dem Weg gehen sollen, denn das allgemeine Hupen ist ja schon längst im Grundton enthalten. Dazu kommt das ständige Rasseln von Leuten aus einem Tempel in der Nähe, was kurzzeitig noch durch den Muezzin untermalt wird. Doch all das könnten unsere Ohropax vielleicht noch abwehren, aber man kann sich schon denken, es kommt noch besser. Irgendwo in der Gegend muss wohl gerade eine Hochzeitsparty steigen oder es wurde ein Kind geboren. Denn es schallt Musik in ohrenbetäubender Lautstärke durch alle Gassen. Es klingt, als wäre die Musik direkt in unserem Zimmer, in voller Lautstärke. Das monotone Knacken des Deckenventilators gerät da recht schnell in den Hintergrund.

Udaipur soll unser letztes Ziel in Rajasthan sein. Wir erreichen die Stadt mit dem Bus, da es keine direkte Zugverbindung gibt. Wir haben uns die Luxusklasse gegönnt, welche in Indien mit einem normalen, europäischen Reisebus vergleichbar ist. Als wir den Busbahnhof erreichen und die anderen klapprigen, zerbeulten, monströs wirkenden Busse sehen, sind wir mehr als glücklich über diese Wahl. Die Fahrt startet am späten Nachmittag und schon bald bleibt der Blick in die Umgebung leider im Dunkel verborgen. Lediglich die vom Scheinwerfer beleuchteten dichten Bäume am Straßenrand sowie die kurvenreiche Fahrt zeugen von einer schönen Gegend.
Dann plötzlich Aufregung, der Bus bremst ab, die meisten Fahrgäste sind hellwach. Einige stehen halb im Gang, andere blicken suchend durch die Fenster. Was ist passiert? Ein Unfall? Ein Mann sieht unsere fragenden Blicke und erwidert euphorisch: „Panther, panther, black panther!“ Da war sie also, die erste große Raubkatze auf unserer Reise. Auch wenn wir nichts gesehen haben, so fühlt man sich doch schlagartig in einer anderen Welt – im Dschungel!

Udaipur überrascht uns mit einer grünen und frischen Atmosphäre. Die Stadt liegt zwischen Seen und grünen Hügeln. Vielleicht sollten wir an dieser Stelle anmerken, dass wir uns die grünen Oasen des „Wüstenstaates“ Rajasthan ausgesucht haben, um hier kein falsches Bild zu vermitteln. Doch nach der usbekischen Wüste ist unser Verlangen nach Wasser gepaart mit Grün recht groß.

Wir finden eine gemütliche Wohnung mit Küche und probieren ganz euphorisch die neuen, indischen Rezepte aus. Mit der Gewürzdosierung sollten wir wohl beim nächsten Mal etwas zaghafter umgehen, denn das Essen wird schärfer als bei den Inder*innen selbst. Doch mit ein bisschen dahi (Joghurt) zur Neutralisation sieht die Welt schon weniger feurig aus. Den rettenden dahi bekommen wir von einem Street Food Stand direkt unter der Wohnung. Mit einer großen Kelle wird er aus einem flachen Behälter in einen kleinen Beutel abgepackt und gewogen.

Da wir unsere Küchentasche in Delhi zurückgelassen haben, kochen wir in letzter Zeit relativ wenig selbst und freuen uns daher so mehr, dass wir nun mal wieder die Gelegenheit dazu haben. Es bringt einfach so viel Spaß über die üppigen Märkte zu schlendern, dort die Zutaten zu besorgen und herauszufinden, wo es was gibt. Auch, wenn wir nun erstmal wieder die „echten“ Preise zum Verhandeln rausfinden müssen.
Eine besondere Herausforderung wird der Kauf von Eiern. Da wir in der Nähe des Jagdish-Tempels wohnen, gibt es weit und breit keine Eier zu finden. Wir erkundigen uns bei unzähligen Läden ohne Erfolg. Als wir dann schon fast aufgeben wollen, fragen wir mehr aus Ironie noch bei einem letzten Minishop nach und siehe da, der junge Mann zaubert tatsächlich Eier aus einem Loch im Betonfußboden hervor. Indien ist eben immer wieder für eine Überraschung bereit.

Die meisten Inder*innen ernähren sich durch ihren hinduistischen Glauben vegetarisch oder vegan, da für sie Tiere Teil der Schöpfung sind und so sehr geachtet werden, dass sie nicht getötet werden dürfen. Fleisch spielt also in der indischen Küche eine eher untergeordnete Rolle, was man meist schon am Menü im Restaurant erkennen kann. Die Auswahl der vegetarischen Gerichte ist um ein Vielfaches größer als die sogenannten non-veg Gerichte, welche meistens aus Hähnchen, Lamm oder Ziege bestehen. Rindfleisch ist tabu, denn die Kuh gilt als heiliges Tier im Hinduismus. Allein der Aspekt, dass die Gerichte mit der Verneinung des Normalen dargestellt werden, zeigt dies wohl nochmal sehr deutlich.

Wir leihen uns zum ersten Mal auf unserer Reise das wohl präsenteste Gefährt in Indien neben der Rikscha aus, um die wunderschöne Umgebung der Stadt zu erkunden. Das Ausleihen selbst ist recht unkompliziert. Pass hin, Roller her, schnell noch zur Tanke und los geht’s. Der Helm ist in Indien übrigens nur für den/die Fahrer/in obligatorisch. Diese Regel wird mehr oder weniger ernst genommen. Oft wird er auch einfach nur lässig über den Arm gehangen und sinnlos rumgefahren.

Entgegen unserer Erwartungen läuft selbst der Stadtverkehr geschmeidig. Es ist zwar irgendwie chaotisch, allerdings unterliegt das Ganze doch irgendwie immer einer gewissen Ordnung. Nun können wir uns endlich auch am stetigen Hupkonzert des indischen Straßenverkehrs beteiligen. Wir genießen es sehr mal wieder auf zwei Rädern, mit Fahrtwind im Gesicht, in ländlicheren Gefilden unterwegs zu sein. Was für ein schönes Gebiet zum Radeln das doch wäre…

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Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Susanne Dreger

    liebe Isabel, lieber Sebastian,
    es beeindruckt mich tief wie ihr eure intensiven, fordernden Erlebnisse formuliert und aufschreibt. Beim Lesen fühle ich mich mittendrin im so fremden unendlich vielfältigen, farbenprächtigen Land. Mit großer Nonchalance und Würde überwindet ihr Hürden, erlebt intensive Nähe zu den Menschen dieser Länder oder Landstriche, nehmt Schwierigkeiten lächelnd hin.
    Ihr werdet lange von eurer aufregenden Reise durch Welt zehren.
    Auf die weiteren Berichte warte ich mit Spannung.
    Liebe Grüße von Susanne

  2. Karen Schröder

    Moin von der Waterkant!
    Die Nord- und Ostsee vermisst euch auch!
    Ansonsten habt ihr wieder tolle Einblicke beschrieben! Ich kann mich Susannes Kommentar von heute nur anschließen. Beim nächsten Mal mehr. Weiterhin alles Gute von Renate und Karen aus Kiel 🏄🧜

  3. Caro

    Liebe Isi, lieber Basti,

    ich versuche es heute erneut mit einem Kommentar. Habe am letzten Wochenende schon einmal einen langen geschrieben, bin auf eine falsche Taste gekommen und er war dahin. Wie riesengroß Indien ist, habe ich bisher gar nicht richtig wahrgenommen. Auf Omas Globus hatte ich mit ihr schon geschaut und auch mit meiner 4. habe ich Indien auf der Weltkarte angeschaut. Kurz darauf lasen und schrieben wir einen Artikel über Kinderarbeit. Leider spielte da Indien eine der Hauptrollen. Bekommt ihr davon was mit? In diesem Zusammenhang haben wir auch Bangladesch, Burkina Faso und Mali aufgesucht.
    Da es der Oma besser geht, zeigt sie auch wieder etwas mehr Interesse für alles. Gestern haben wir sogar mit Viola via WhatsApp telefoniert. Als sie Basti das letzte Mal sah, hatte sie Mitleid weil er angeblich angegriffen aussieht. Isi sieht dagegen gesund aus, sagte sie.
    Wir wünschen euch eine stressfreie Radeltour nach Nepal und freuen uns auf euren nächsten Bilderbericht.
    Liebe Grüße vom Tantchen Carola