Im zentralen, trockenen Hochland von Kirgistan tauchen wir ein in die Welt der (Halb) Nomad*innen. Neben den unzähligen Jurten, die wir überall erblicken, bekommen wir auch die Gelegenheit, die sportlichen Traditionen hautnah mitzuerleben.

Viel Spaß beim Lesen!

In Naryn kommen wir für ein paar Tage in einem kleinen Gästehaus unter. Die meisten Unterkünfte, die man hier findet, sind eine Art Homestay. In dem Haus der Familie sind so gut wie alle Räume mit Betten gefüllt. An den Familienbildern an der Wand, den Spielsachen in den Zimmern und anderen Dingen ist aber deutlich zu erkennen, dass dies eigentlich das Zuhause der Familie ist und kein Gästehaus wie wir es kennen. Sie selbst schlafen in einem kleinen Container im Garten und haben eine Art Wohnzimmer neben einer provisorischen Küche, ebenfalls im Containerstil.
Es wirkt etwas bedrückend auf uns, denn es fühlt sich manchmal doch so an, als würde man die Privatsphäre der Familie stören. Wir waren zwar schon oft zu Gast bei Menschen und hatten die Gelegenheit noch tiefer in den privaten Bereich einzutauchen, allerdings waren wir dort eingeladen und fühlten uns willkommen. Jetzt fühlen wir uns eher geduldet. Die Gastgeberin ist richtig freundlich, aber man spürt trotzdem, dass sie wohl nicht freiwillig ihren Rückzugsaum hergibt. Verständlich! Doch die wirtschaftliche Situation lässt wohl nichts anderes zu.

Als wir am Abend unser Essen zubereiten entsteht dann aber doch noch eine Art Kulturaustausch und das ist ohne Frage eine sehr schöne Art des Reisens und macht die Vorzüge dieser Art der Unterkunft deutlich. Wir würden uns einfach nur für die Menschen wünschen, dass sie dafür nicht ihre eigenen, privaten Zimmer hergeben müssen.
Neugierig schaut die Gastgeberin uns beim Kochen über die Schultern. Es gibt zwar in den kleinsten Läden unterschiedlichste Nudelsorten, doch irgendwie scheint es, als komme unsere hochgeliebte Pasta hier nicht so oft auf den Tisch. Außerdem ist sie erstaunt darüber, dass „der Mann“ hier in der Küche etwas macht. Sie deutet lachend auf die Couch, wo es sich ihr Mann bequem gemacht hat, während sie das Abendessen zubereitet. Dann sagt sie uns, dass es in Kirgistan eine Peinlichkeit für „den Mann“ sei, wenn er etwas in der Küche machen muss. An der Art wie sie es sagt, spürt man allerdings, dass sie sich durchaus etwas Unterstützung wünschen würde. Doch dann ergänzt sie, dass ihr Mann ja arbeitet und auch eine Pause bräuchte. Dass sie sich um die zwei Kinder und das Baby kümmert und die gesamte Organisation der 15-Betten-Unterkunft wuppt, wird wohl leider nicht als Arbeit angesehen. Wir hoffen auf eine gleichberechtigtere Zukunft in Kirgistan.

Während wir in Naryn sind, findet der kirgisische Nationalfeiertag statt an dem auch die traditionellen Reiterspiele ausgetragen werden. Eigentlich wollen wir uns einfach nur ausruhen, doch dann bekommen wir eine Nachricht von Thomas & Marien, die wir unterwegs auf dem Rad getroffen haben, ob wir uns nicht ein Taxi zu den Spielen teilen möchten und schwupps sind wir doch wieder auf den Beinen…

Der Taxifahrer verlangt einen utopischen Preis von uns, welcher laut unserer Recherche für eine Fahrt nach Bishkek reichen müsste. Also gehen wir schleunigst weiter. Ein Autofahrer hat diese Situation wohl bemerkt, winkt uns heran und nimmt uns für einen etwas überteuerten, aber akzeptablen Preis mit in das Dorf Emgekchil nordwestlich der Stadt. Es ist immer gut vorher zu wissen wie viel eine Fahrt im jeweiligen Land ungefähr kosten sollte.
Während der Fahrt unterhalten wir uns etwas mit dem Fahrer, was eher schlecht als recht klappt. Später stellen wir fest, dass dies wohl eher an unseren peinlichen, unwissenden Fragen gelegen haben muss. Denn wir wollten von ihm wissen, gegen welches Team Naryn denn heute im Kok Boru antritt. Fragend zählen wir einige Städte und Dörfer der Umgebung auf. Einige Stunden später bemerken wir unsere Peinlichkeit. Es ertönen die Nationalhymnen von Kasachstan und Kirgistan und ziemlich offiziell aussehende Menschen eröffnen das Spiel mit ausschweifenden Reden. Übersetzt in die westliche Sportwelt haben wir den Fahrer des Autos also gefragt, gegen welchen Dorfverein Naryn heute denn spielt, dabei findet hier gerade das EM-Finale im Fußball statt.

Pferde sind aus dem nomadischen Lifestyle genau so wenig wegzudenken wie die Berge und die Steppe und deshalb ist es natürlich keine Überraschung, dass auch die traditionellen Spiele zu Pferd ausgetragen werden. Bereits die Kleinsten reiten hier in Kirgistan ganz selbstverständlich über Stock und Stein, manchmal gefühlt, bevor sie laufen können.

Als wir das Festgelände erreichen erwartet uns zunächst eine völlig kreuz und quer zugeparkte, vertrocknete Wiese, viele Menschen im traditionellen Gewand, unzählige Jurten in denen Essen und Trinken zubereitet und verkauft wird und natürlich jede Menge Pferde zwischendrin. Es herrscht Festivalstimmung und tatsächlich ist dies somit unser erster Festivalbesuch seit der Coronazeit.

Wir schlendern an all den Jurten vorbei und saugen die Stimmung auf, bevor wir uns dem sportlichen Event widmen. Die Tribüne besteht hier nicht aus festen Sitzreihen wie wir es kennen, sondern zugeschaut wird von der steilen Wiese aus. Wir sind natürlich unvorbereitet und haben weder Sonnenschirm, Pappe oder kleine Sitzkissen oder Teppiche für den Hintern dabei so wie die meisten Einheimischen. Gespielt wird auf der riesigen, flachen Wiese davor.

Als erstes finden mehrere Pferderennen namens Chabysh statt, bei denen es vor allem auf Schnelligkeit und Ausdauer ankommt. Es finden sowohl Trab- als auch Galopprennen statt und es wird im Publikum natürlich fleißig und lauthals mitgefiebert. Selbst in Deutschland werden die Pferde ja bei solchen Veranstaltungen ziemlich getriezt, aber hier ist das nochmal eine ganz andere Nummer. Es wird ziemlich brutal mit der Peitsche um sich geschmissen und Schutzkleidung trägt eigentlich niemand.
Besonders makaber wirds beim Kok Boru, dem wohl berühmtesten, kirgisischen Spiel auf dem Pferderücken, denn dabei jagen die beiden Teams einem kopflosen Ziegenkadaver hinterher. Scheinbar ist die tote Ziege ziemlich schwer und nicht so leicht aufzuheben, wenn man auf dem Pferd sitzt. Sobald ein Reiter es doch geschafft hat, muss die Ziege ins „Tor“ gebracht werden, was manchmal auch einfach nur ein Loch im Boden ist. Der Ziegenkopf kann übrigens im Anschluss ans Spiel verspeist werden. Wir haben uns dann aber doch lieber für andere Leckereien entschieden.

Obwohl Kirgistan ein hauptsächlich muslimisches Land ist fließt bei den Spielen jede Menge Alkohol. Bei einigen wohl auch etwas zu viel und so geraten wir nicht nur in ein unangenehmes Gespräch mit einem stark alkoholisierten, aufdringlichen Mann, sondern es liegen auch einige Männer stockbesoffen auf dem Boden rum, als wir das Gelände am Abend wieder verlassen.

Vollgepackt mit allen Leckerein für die nächsten Tage starten wir gen Son Kul. Nach den ersten Kilometern auf der asphaltierten A365 biegen wir recht bald wieder auf eine Piste ab. Die Gegend ist recht trocken und karg. Da Naryn bereits auf ca. 2.000 m liegt, beradeln wir den Jobulak Pass (3.019 m) ohne jegliche Aufregung zu verspüren. Hinter der Passhöhe breitet sich wieder einmal ein wunderschönes Tal vor uns aus. Am Ende wird das Tal zu einer Schlucht, aus der ein Wasserfall in die Tiefe stürzt. Wir bauen unser Zelt auf und genießen die Natur, auch wenn langsam wieder etwas Aufregung in uns aufsteigt.

Der Grund der Aufregung ist der vor uns liegende, sogenannte 33-Papageienschnabel-Pass. Der Name rührt aus den 33 Serpentinen, die hier auf ca. fünf Kilometern gute 500 Meter nach oben führen und das auf einer extrem schlechten Piste. Es ist extrem anstrengend, aber auch wieder extrem schön.

Hinter dem Pass erwartet uns der Son Kul.  Der Bergsee auf über 3000 m, der schon seit jeher als Sommerdomizil vieler Viehherden der hier lebenden Halbnomad*innen dient. Wir haben Glück, denn das hier oft herrschende, raue und sehr wechselhafte Klima macht Sommerurlaub und wir können den See bei bestem Sonnenschein und bester Aussicht genießen.

Wie holpern über die wellblechstrukturierte Schotterpiste, was nach so einem intensiven Pass doch recht mühsam ist. Unser Zelt wollen wir irgendwo am Wasser aufstellen, doch dahin zu kommen ist gar nicht so einfach. Der See ist ca. 3 km entfernt und es gibt keinen Weg. Wir holpern einfach über die Wiese gen Wasser, was noch anstrengender ist als die Schotterpiste. Irgendwann kommen wir nicht weiter, zu groß sind die Hubbel, die der Sumpf hier zurückgelassen hat. Wir bauen das Zelt auf und genießen diese einmalige Atmosphäre. Es ist so wunderbar ruhig – wir hören wirklich gar nichts!
Am nächsten Tag ruckeln wir nur ein paar Kilometer weiter. Es ist einfach zu schön, um schon wieder weiter zu radeln!

Der nächste Pass, den wir nach dem Son Kul erklimmen müssen, erweist sich dann erstmal als Durststrecke, und zwar nicht nur für die Augen, sondern auch für unsere Kehlen. Weit und breit erstrecken sich nur kahle und ausgetrocknete Hügel vor, neben und hinter uns und die auf der Karte eingezeichneten Flüsse sind längst ausgetrocknet. Wir quälen uns immer weiter nach oben bis irgendwann unsere Rettung, nämlich ein winziges Bächlein neben einer einsamen Jurte erscheint und wir endlich Wasser auftanken können.

Das Tal nach dem Pass ist wieder viel grüner und eine imposante Miene erstreckt sich plötzlich vor uns während der holprigen Abfahrt. Hauptsächlich wird hier Kohle abgebaut und umso näher wir der Einfahrt des Tagebaus kommen, desto dunkler wird der Weg unter uns und desto häufiger kommen uns LKW entgegen, die uns und unsere Räder immer wieder in Kohlestaub tauchen. Durch den grauen Staub in der Luft und die ratternden Gefährte, geht die schöne Umgebung leider etwas unter. Wir bauen unser Zelt ein ganzes Stück entfernt von der Straße auf, dass es nicht auch noch so dreckig wird, wie wir es sind.

Am nächsten Tag kommen wir dreckig wie die Schweinchen wieder auf der wohltuenden, neu gebauten Asphaltstraße vor Caek an und gönnen uns eine Unterkunft, in der wir uns und unsere Räder erstmal komplett vom Staub befreien. Doch mit den Unterkünften ist das manchmal so eine Sache. Ab und an sehnt man sich schon nach ein paar Minuten auf einer durchgelegenen Matratze, bei der die Federn einem nur so in den Rücken spießen, nach der eigenen Isomatte und dem Zelt und ärgert sich darüber, dass man nicht lieber draußen geschlafen hat.   

Umso mehr freuen wir uns am nächsten Tag wieder auf den Rädern zu sitzen. Die neu gebaute Straße befördert uns dabei direkt in den Radhimmel, denn sie ist nicht nur herrlich asphaltiert, sondern auch kaum befahren und führt uns durch imposante Schluchten sowie Berglandschaften. Nur die unzähligen Steinschläge in der frischen Straße und Spuren von Erdrutschen sind dabei manchmal etwas beängstigend.

Wir erreichen Kazarman aber wohlbehalten und sind so froh endlich unsere Vorräte auffüllen zu können. Das dachten wir jedenfalls! Denn als wir durch die kleine verschlafene Siedlung radeln bemerken wir, dass es hier lediglich kleine und etwas größere Läden gibt, doch einen Bazar suchen wir vergebens. Am Ende müssen wir in sechs oder sieben Läden gehen, um unsere Sachen zusammen zu suchen, die wir für den nächsten Pass benötigen. Hier ein paar Gurken, da Tomaten und so weiter. Selbst Eier sind aus, die Verkäuferin verschwindet in ihrer Küche, die sie direkt aus dem Laden betreten kann und bietet uns ein Ei, welches sie entbehren kann, aus ihrem Kühlschrank an.

Auch in Kazarman sind wir wieder zu Gast via Homestay und auch hier haben wir ein bedrückendes Gefühl dabei. Die Gastgeberin räumt ihr Schlafzimmer und zieht mit ihren drei Kindern in das Nachbarzimmer. Dort breitet sie Decken auf dem Boden aus, auf denen Sie die Nacht verbringen wird, während wir in ihrem Bett schlafen sollen. Wieder werden wir das Gefühl nicht los, dass sie dies nur notgedrungen macht, doch wer würde dies schon freiwillig machen.

Letztendlich finden wir dann doch noch eine Straße, in der es ein wenig wie Bazar aussieht und radeln bei einem Bäcker vorbei, der frisches, warmes Brot verkauft. Man muss wohl nur wissen, wo und vor allem auch wann es die Dinge zu kaufen gibt.

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Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Karen Schröder

    Moin nach Kirgistan!
    Das Vermieten der eigenen Zimmer kommt mir bekannt vor: das würde vor noch nicht allzu langer Zeit auch in Schleswig-Holstein gemacht, als der Massentourismus begann. Die Familien räumten ihre Zimmer für die Feriengäste und zogen in den Keller oder in die Gartenlaube. Vor ca. 30 Jahren waren Schrödi und ich auf Sylt auch mal in so einer „Pension“, war nicht mein Ding, aber eben günstig…
    Die Reiterspiele habe ich im TV und in der Ausstellung in Kopenhagen gesehen. Dann kann man sich vorstellen, dass in Asien das Polospiel erfunden wurde…
    Die Fotos von der Mine sind ja fast Weltuntergangsszenarios. Dass ihr danach schwierig ward, kann man ja sehen. Hauptsache, es verläuft alles friedlich. Auch mit den Betrunkenen, die vielleicht Probleme mit dem Ost-West-Cultureclash haben…
    Weiterhin eine gute Tour durch die riesigen Berge wünschen euch Renate und Karen 🙋🙋

  2. Adeline

    Hallo ihr beiden,
    ich habe gerade euren neuen Eintrag gelesen und bin in Gedanken bei euch. Für Isi noch alles Liebe nachträglich zum Geburtstag!
    Ich staune über die riesigen Berge und drücke weiterhin die Daumen, dass ihr jeden Tag einen guten Platz zum Schlafen findet.
    Aber auf ein Wiedersehen würden wir uns auch freuen! 😉 Einen dicken Drücker und ganz liebe Grüße aus Hausdorf von Paul, Steffen und mir! 😘

  3. Carola

    Es ist so eine gewaltige Natur, die ihr auf den kleinen Fahrrädern, die man manchmal kaum ausmachen kann auf den Fotos, zu sehen bekommt.
    Die Jurten haben was! Das sieht zumindest nicht weniger imposant aus für mich, als ein Prachtbau in Persien.
    In einem Ostseeurlaub waren wir mal auf der Insel Vilm (Jetzt gucke ich lieber nicht nach, ob es richtig geschrieben ist.), da waren auch Nomaden zu Gast, die eine Jurte aufgebaut hatten und wir waren da drin. Ich vergesse das nicht und frag mich gerade, wie ihr die Millionen Eindrücke und Erlebnisse alle behalten werdet. Das Aufschreiben ist Gold wert und ihr macht das richtig toll.
    Liebe Grüße von Carola