Unsere erste Wüstenquerung steht bevor. Wir radeln auf den Spuren der ehemaligen Seidenstraße durch Usbekistan, aber ganz so romantisch wie es klingt und wie wir es uns vorstellen wird es nicht, denn auf der Seidenstraße ist nicht mehr alles so wie es einmal war.

Viel Spaß beim Lesen!

Bukhara, so heißt unsere erste Stadt entlang der usbekischen Seidenstraße, bei der wir nicht nur den Bahnhof sehen. Um dahin zu kommen nehmen wir unser Fortbewegungsmittel Nummer Eins in Usbekistan – die Eisenbahn. Wir steigen in Samarkand in den Zug und zweieinhalb Stunden später sind wir auch schon gute 200 km weiter westlich. Dann kommen wir aber doch noch in den Genuss des Radfahrens, denn der Bahnhof liegt gute zehn Kilometer außerhalb der Stadt.

Wir finden ein kleines, gemütliches Gästehaus mit einer Terrasse, von welcher man die ganze Altstadt überblicken kann. Aber das eigentliche Highlight ist, dass wir hier unser eigenes Essen machen dürfen und so rauscht unser Benzinkocher auch schon bald über den Dächern Bukharas und wir schauen dem Vollmond beim Aufgehen zu.

Am nächsten Tag schlendern wir entspannt durch die Gassen und bestaunen die alten, orientalischen Gebäude, die einen direkt in die Träume einer anderen Zeit versetzen. Doch dank der vielen touristischen Verkaufsstände und der damit verbunden nervigen Händler:innen, die einen immer wieder anquatschen, wird man schnell aus dem Träumen geholt. Die Stadt oder besser gesagt der historische Kern wirken doch sehr steril, herausgeputzt als Museumskulisse.
Es fehlt das eigentliche Leben, das, was es im Iran noch so authentisch machte, der Trubel, das Chaotische. Hinter dem schicken Kern finden wir aber auch schnell Häuser, an denen es bröckelt. Aber der sanierte Teil frisst sich immer weiter nach außen. Die Frage ist nur, ob da auch Einheimische unterkommen oder ob es einfach noch mehr Hotels und Gästehäuser werden und das Alltagsleben sich immer weiter vom Zentrum entfernt.

Jetzt treten wir aber endlich mal wieder länger in die Pedale. Vor uns liegt ein Teil der Kysylkum, eine Sand- und Kieswüste, die sich über weite Teile Usbekistans erstreckt. Von Bukhara nach Chiwa sind es Luftlinie ca. 400 km, in der Navigationsapp werden es nicht viel mehr.
Es geht streckenweise einfach immer nur gerade aus. Dabei wird es Kilometer für Kilometer trockener. Aus den bunten Salzwiesen wird eine Vegetation mit immer weniger Büschen und Sträuchern, bis der Sand das vorherrschende Element ist.

Eine Wüstendurchquerung auf der alten Seidenstraße zwischen den orientalischen, prachtvollen Oasenstädten hört sich an wie ein Zauber aus Tausendundeiner Nacht. Aber so romantisch wie es klingt, ist es wohl schon lange nicht mehr. Die alte Handelsstraße wird zu einer Autobahn, Kamelkarawanen verwandeln sich in stinkende, laute LKW und die orientalischen Städte sind wohl nur noch Oasen für Tourist:innen.
Trotzdem hat es einfach seinen eigenen Charme gute 400 Kilometer durch die Wüste zu radeln. Allerdings ist es wohl eher eine Wüstendurchfahrt für Anfänger, die dazu noch ordentlich Glück haben. Der Wind meint es zum größten Teil recht gut mit uns und bläst oft von schräg-hinten. Dazu kommt, dass wir den am besten ausgebauten Teil der Wüste befahren, das heißt wir fahren auf einer vierspurigen Betonautobahn mit einem schmalen Seitenstreifen. Das ist zwar auf der einen Seite recht nervig, weil die LKW und anderen Autos nur so an uns vorbei rasen, aber auf der anderen Seite auch sehr viel entspannter, als auf der zweispurigen, aufgeplatzten, mit Löchern und Spurrinnen übersäten alten Straße. Denn auf dieser fahren die Autos im Grunde genau so schnell an uns vorbei – nur ohne Abstand. 
Zu guter Letzt natürlich noch das Wichtigste, wenn man eine Wüste durchquert, Wasser! Dieses kostbare Gute ist hier ca. alle 50 km verfügbar und das macht die ganze Sache natürlich um einiges einfacher. Wir fragen in kleinen Shops, Restaurants, Tankstellen oder einer Werkstatt und jedes Mal dürfen wir ohne Probleme unseren Wassersack am Abend befüllen. Mal kommt das Wasser aus der Großküche und wird am Ende sogar mit noch ein paar frischen Broten serviert, mal aus einem Wassertank neben der Hebebühne oder auch aus einem Brunnen.

Wir haben uns ein ordentliches Pensum vorgenommen, was nur zur Hälfte mit unseren Beinen bewältigt werden muss. Die andere Hälfte findet im Kopf statt. Spätestens am Nachmittag nach guten 70 bis 80 Kilometern geradeausfahren, mit immer identischer Aussicht, kommt es wohl auch auf die mentale Stärke an. Wir treffen zwei Radeisende, die schon seit ca. drei Wochen vom Kaspischen Meer aus Richtung Osten radeln, sie haben nur zwei Tage ohne Gegenwind gehabt! Wir können uns wohl einfach glücklich schätzen.

Was es heißt in der Wüste gegen den Wind zu fahren, sollen wir ein paar Tage später dann aber doch noch erfahren. Böen bis zu 30 Knoten peitschen uns entgegen und Sand wirbelt durch die Luft, überall ist Sand. Zum Glück ist es nur ein relativ kleines Stück für uns, aber der Gedanke daran, dass man dies mehrere Tage oder Wochen vor sich hat, ist eher eine deprimierende, kräftezehrende und nicht gerade motivierende Vorstellung.

An den Abenden, wenn wir dann jeweils die große Straße verlassen und unsere Villa Sonnenschein in der ewigen Weite zwischen Sträuchern und Sanddünen aufbauen und uns eine laue Briese um die Nase weht während wir in den Sternenhimmel schauen,  kommt dann doch noch etwas Wüstenromantik auf.

Es passiert natürlich auch nicht nichts auf der Fahrt. Autofahrer:inen hupen uns in den unterschiedlichsten Tönen und Melodien zu, was einerseits schön und motivierend ist, aber andererseits, gegen Abend doch auch recht nervig werden kann. Grüßen wir am Morgen noch enthusiastisch zurück, bekommen wir am Abend gerade noch so den Arm nach oben gehievt oder nicken mit dem Kopf. Manchmal befindet sich das Auto auch direkt neben uns, bevor der Fahrer mit einer viel zu gut gemeinten Energie die ohrenbetäubenden Klänge herausposaunt.
Aber neben den metallischen Begleitern sehen wir auch hier und da kleine Erdmännchen, die durch die Dünen vor uns davonhuschen und uns ein Lächeln ins Gesicht zaubern.
Irgendwann radeln wir dann auch noch entlang der turkmenischen Grenze, wir blicken über den Flusslauf des Amudarya, wir blicken durch die unsichtbaren Mauern, die seit Beginn der Pandemie keine Menschen mehr hindurchlassen. Ca. 500 km weiter südlich liegt Iran, so nah und doch so fern.

Nach drei Nächten und ca. 350 km ist unser Kurzausflug in die Wüste auch schon wieder vorbei. Ein eigentlich so lebensfeindlicher Ort, der aber dennoch ein Zuhause für einige Tiere bietet. Wir spüren dies nur ganz leicht, wenn wir zum Beispiel unser Zelt zwischen den dornigen Büschen aufbauen und danach unzählige kleine, feine Nadeln aus unserer Haut ziehen müssen oder wenn uns die staubige Luft nach Wasser ächzen lässt. Wieder schweben wir in der Vergangenheit und stellen uns vor, welchen Strapazen die damaligen Karawanen ausgesetzt waren. Das war sie dann also, unsere Wüstenfahrt. Anstrengend, nervenaufreibend aber auch entspannt. So langweilig, öde und doch auch so faszinierend.

Hinter der Wüste erwartet uns dann eine kleine Überraschung oder wir werden einfach von unserer Unkenntnis über die hiesige Vegetation belehrt. Denn irgendwie denken wir bei Wüste immer auch ein wenig an Palmenhaine und immergrüne Pflanzen, sollte es denn irgendwo Wasser geben. Doch dass es in der sommerheißen und winterkalten Wüste stattdessen Laubbäume gibt, hatten wir nicht so richtig auf dem Schirm und so werden wir von einem traumhaften und farbenfrohen Herbst empfangen. Die bunten Blätter rauschen im Wind und die Abendsonne taucht die umliegenden Salzwiesen in einen goldenen Schimmer.

Wir sind eigentlich schon fast in Chiwa, als wir uns überlegen doch noch einen kleinen Umweg einzulegen. Von unseren lieben frenchies erfahren wir, dass es da im Norden eine alte Festung gibt, die man sich unbedingt anschauen sollte. Das bedeutet zweimal ca. 60 km zusätzlich, auf einer kleinen aber starkbefahrenen Straße, die so schlecht ist, dass es uns einfach die ganze Zeit nur durchschüttelt. Dazu bläst uns eine ordentliche Briese entgegen und wir wissen, dass am nächsten Tag der Wind dreht, so dass wir auch auf dem Rückweg wieder ordentlich Gegenwind haben werden.
Wir sind gestresst und ausgelaugt. Der Wind zerrt an den Kräften und die Autofahrer:innen kratzen an unseren Nerven. Die Sache mit der mentalen Stärke ist dann auch nicht mehr so einfach. Es handelt sich ja um einen Umweg, den man nicht hätte nehmen müssen, um sein Ziel zu erreichen und auch das Wissen darüber, dass der Wind sich mit uns dreht, ist nicht so einfach zu verdauen. Nicht nur einmal fragen wir uns, warum um alles in der Welt wir das hier eigentlich machen, nur für so eine alte Kleckerburg…

Nunja, manchmal ist die Antwort einfach, eben wegen dieser schönen Kleckerburg, die wir nach Sonnenuntergang erreichen und von der wir am nächsten Morgen so herzlich empfangen werden. Was für eine Aussicht! Wir campen direkt vor der Ayaz Qala, einer beeindruckend gelegenen alten Festung auf einem Hügel am Rande der Wüste, die damals als Fluchtburg beim Herannahen von Feinden gedient haben soll. Am nächsten Morgen haben wir sie ganz für uns allein.

Der überwiegend wüste Westen Usbekistans namens Karakalpakistan hat noch weitere archäologische Kostbarkeiten zu bieten. Am nächsten Tag rollen wir durch die Salzwiesen und Baumwollfelder zur nächsten Festung, der Topraq Qala, einer Wüstenstadt aus dem 3./4. Jahrhundert, in der wir unser Zelt sogar in einem der vielen Räume zwischen den alten Gemäuern aufschlagen.

Das usbekische Landschaftsbild kann man weitestgehend auf Wüsten, Salzwiesen und Felder, vor allem Baumwollfelder, reduzieren. Während des Radelns erblicken wir im Fergana- und Amudarjatal manchmal nichts anderes links und rechts der Straße. Die Ernte ist Ende Oktober weitestgehend abgeschlossen. Nur noch vereinzelt sehen wir Baumwollpflücker:innen, die von Pflanze zu Pflanze gehen, die weißen Büschel abzupfen und sie danach in einen Sack legen. Traktoren holen die Baumwolle dann ab.

Das „weiße Gold“ aus Usbekistan sorgte vor allem in der Vergangenheit für negative Schlagzeilen in Bezug auf Kinder- und Zwangsarbeit. Besonders zu Sowjetzeiten war die usbekische Wirtschaft zu großen Teilen auf die Baumwolle ausgerichtet, zur Baumwollernte im Oktober mussten alle mit anpacken, auch Kinder. Kritische Stimmen wurden immer lauter und die sogenannte „Cotton Campaign“, ein Zusammenschluss von Arbeits- und Menschenrechtsorganisationen rief 2003 zum Boykott der Baumwollprodukte aus Usbekistan auf.
Laut Deutschlandfunk (Artikel vom 25.01.22) haben sich die Bedingungen für die Arbeiter:innen in den letzten Jahren deutlich verbessert und Kinder- sowie Zwangsarbeit sind wohl auch so gut wie überwunden. Der seit 2016 amtierende Präsident Schafkat Mirziyoyev, welcher die Macht von Diktator Islom Karimov übernommen hat, hat nicht nur eine Öffnung des Landes für den Tourismus angebahnt, sondern sich auch für eine ökologischere, fairere Baumwollproduktion eingesetzt. Trotzdem bleibt es eine repressive Autokratie, die keine allzu kritische Berichterstattung zulässt. Der Boykott von „Cotton Campaign“ wurde zumindest noch nicht aufgehoben.

Allerdings sind die prekären Arbeitsverhältnisse nicht der einzige negative Aspekt der Baumwollproduktion! Der Wasserverbrauch für den Baumwollanbau ist unglaublich hoch. Laut WWF benötigt man für ein Kilogramm Baumwolle ca. 11.000 Liter Wasser. Dies entspricht ungefähr dem durchschnittlichen Wasserverbrauch einer Person in Deutschland für den Zeitraum von knapp drei Monaten oder 70 Badewannen voll mit Wasser (vgl. statista.com, Stand 08.11.22) .

Die durstige Baumwolle und der damit einhergehende extreme Wasserverbrauch in einem Wüstenland haben ein Mahnmal der Zerstörung unserer Natur gezeichnet, den Aralsee. Der einst riesige See ist heute nur noch ein kümmerliches Schaubild seinesgleichen. Dort wo einst Schiffe fuhren, wehen jetzt Sandstürme. Dem Amurdarja, einem der zwei riesigen Gebirgsflüsse, die den Aralsee mit Wasser aus dem Pamir und Thien Shan versorgen, wurde für die Baumwollproduktion in der Vergangenheit immer mehr Wasser entnommen und durch Kanäle das Wasser in die Weiten der Wüste umgeleitet, um grüne Felder entstehen zu lassen. Der Aralsee ist dadurch inzwischen auf eine Fläche von dramatischen zehn Prozent geschrumpft und kann als verheerende, menschengemachte Umweltkatastrophe bezeichnet werden. 

Als wir den Amudarya überqueren ist dieser für uns noch immer ein eindrucksvoller Strom, der wohl jetzt einfach nicht mehr so stark ist wie einst. Hoffen wir, dass er nicht ganz seine Kraft verlieren wird. Wir überqueren den imposanten Flusslauf und bauen unser Zelt etwas abseits auf. Es wirkt surreal, wir sind keine 50 km von der Wüstenstadt Chiwa entfernt und unsere Villa Sonnenschein steht an einem Teich im Herbstwald, ein Bild was in unserem Köpfchen noch immer mehr nach Deutschland als an den Rand der usbekischen Wüste passt. 

Nach einem letzten Tag auf dem Rad in Zentralasien erreichen wir dann unser Ziel: Chiwa. Die Wüstenperle gehört mit ihrer Altstadt bereits seit 1990 als erste Stadt in Usbekistan zum UNESCO- Weltkulturerbe. Zurecht, denn hier sieht es wirklich aus wie im wahr gewordenen Märchen aus Tausendundeiner Nacht.

Man kann sich nicht satt sehen an all den bis ins kleinste Detail ausgearbeiteten Malereien auf den Kacheln, Wänden und an den Decken. Einen Kontrast dazu bietet die geheimnisvolle Dzhuma-Moschee (Freitagsmoschee) mit ihren schmucklosen Wänden und dem dunklen Gebetsraum, der nur durch zwei Lichtöffnungen von oben erhellt wird. Die 212 in unterschiedlichster Weise geschnitzten Holzpfeiler kommen nicht nur aus verschiedenen Orten, sondern auch aus verschiedenen Jahrhunderten.

Man kann sich in Chiwa verlieren in all den Moscheen, Mausoleen, sowie Medresen (Koranschulen) und die prächtigen Minarette bestaunen, die einen perfekten Kontrast zu den Lehmgebäuden bieten.

Aber auch hier fehlt uns das eigentliche Leben, es handelt sich vielmehr um ein wunderschönes Freilichtmuseum. Wenn man allerdings etwas genauer hinter die Fassaden schaut, dann kann man das Alltagsleben fernab der Touristenmassen eben doch auch in dieser Oasenstadt noch finden.

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Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Karen Schröder

    Liebe Isabel und lieber Sebastian!
    Euer Blog ist wieder bildgewaltig und (touristisch) beeindruckend! So Stelle ich mir den Orient vor…. Die Kleckerburg erinnerte uns an die Kasbahs in Marokko.
    Neulich haben wir im türkischen Restaurant Mega Saray mit einem vielseitigen Buffett meinen 60. Geburtstag nachgeholt. Als ich eure Fotos sah, dachte ich mir, wenn ihr wieder nach Kiel kommt, dann wäre das ein guter Rahmen für einen Diavortrag von eurer Reise. Mal sehen….
    Die Umweltthemen Kinderarbeit bei der viel zu wasserintensiven Baumwollproduktion und ausgetrockneter Aralsee sind durch viele Medien publik gemacht worden, sodass eigentlich keiner davor die Augen verschließen kann. Aber….. bis zum Handeln und Ändern ist es dann doch ein weiter Weg!
    In diesem Sinne wünschen wir euch eine interessante und hoffentlich gefahrlose Weiterreise! Viele Grüße von der vollkommen von euch faszinierten Renate und wie immer begeisterten Karen

  2. Caro

    Hallo, ihr Lieben,
    ich habe gerade euren Bericht von Indien entdeckt. Leider habe ich kaum Zeit, das heute zu lesen. Ich möchte aber gerne die Reihenfolge einhalten.
    Aber nun weiß ich erst mal, dass Karen aus Kiel, die immer Zeit zum Lesen und Schreiben ✍️ hat, auch die 60 schon überschritten hat. Außerdem möchte ich den 1. Reisevortrag für SACHSEN bei meinem Lieblingsneffen anmelden.
    Nun gehen wir langsam auf Weihnachten zu. Der 1. Schnee ist gefallen in Hausdorf, liegt immer noch, und die Schulkinder werden scharenweise krank. Ab 10. oder 15. habt ihr eine Unterkunft für 5 Tage. Das hat Bastis Papa erzählt und ich weiß es gar nicht mehr genau.
    Namaste, Carola