Wir landen mit dem Flieger in einer völlig neuen Kultur. Der sogenannte Kulturschock sitzt tief und wir brauchen ein wenig länger als sonst zum Ankommen. Doch dann genießen wir Kasachstans schönen Südosten, diesmal nicht alleine. Der Wind bläst uns dabei immer weiter gen Osten.

Viel Spaß beim Lesen!

Wir landen gegen 3 Uhr nachts und warten wenig später müde, aber doch sehr aufgeregt an der Gepäckausgabe. Als wir nach der Ankunft in Almaty nach unseren Fahrradkartons fragen, werden wir einfach nur abgewimmelt und genervt angeschaut. Irgendwann kommen dann aber endlich unsere Kartons auf dem Gepäckband zum Vorschein. Auch der Blick hinein lässt uns aufatmen.

Es ist schon irgendwie irre, vor nicht einmal 24 Stunden waren wir noch mitten in Iran. Vor dem Flug waren dann doch noch einige Dinge zu regeln und das Gedanken-Karussell, was so alles schiefgehen kann, lief wohl bei uns beiden permanent im Hinterkopf auf Hochtouren. Netterweise hat uns das Sarvhostel in Esfahan einen Transport zum Flughafen organisiert und so saßen wir nach dem Frühstück auch schon neben einem iranischen Opi in seiner Klapperkiste und unser ganzes Hab und Gut lag hinten auf der Ladefläche. Am Flughafen hieß es dann warten, warten und nochmals warten. Unsere Räder waren etwas zu schwer und so kam der Chef höchstpersönlich vorbei, um sich mehrfach für die zusätzliche Gebühr, die wir deshalb zahlen mussten, zu entschuldigen. Vielleicht ist das ein gutes Beispiel für den Kontrast, den wir schon allein zwischen den beiden Flughäfen wahrgenommen haben. Dennoch waren wir beide auch sehr beruhigt, als die ganzen Kontrollen in Esfahan durch waren und vor allem als der Flieger dann endlich abgehoben ist. Damit haben wir nicht nur unsere Freiheit zurückerlangt, sondern es sind uns wohl auch einige Steine vom Herzen gefallen.

Wir bauen die Räder in den frühen Morgenstunden direkt am Flughafen zusammen und radeln nach einer schlaflosen Nacht ins Zentrum von Almaty. Es fängt an zu regnen, die ersten Tropfen seit über zwei Monaten! Das Grün der Pflanzen in der Stadt ist nach den iranischen Wüstenstädten Balsam für unsere Augen und wir atmen genüsslich die frische Vorstadtluft ein.

Die Strecke vom Flughafen zieht sich, aber dank der vielen, neuen Radwege kommen wir in unserer Unterkunft an, ohne uns über Autos ärgern zu müssen. Während der Fahrt erleben wir eine ganz andere Mentalität als im Iran. Die Menschen schauen alle ziemlich grimmig, ein Besoffener auf einem Moped labert uns voll und wenn wir die Leute grüßen und wie immer anlächeln, kommt nur selten ein Lächeln zurück. So ganz wohl fühlen wir uns noch nicht, aber vielleicht sind wir auch einfach nur müde und überwältigt von den letzten Tagen, die gefühlt nur so an uns vorbeigerauscht sind.

Nachdem wir uns ausgeschlafen haben, erkunden wir die Stadt auf dem Rad. Isi war ja vor sieben Jahren schon einmal für ein Praktikum hier und es hat sich doch einiges getan. Tourist:innen sind nicht mehr ganz so selten wie damals, es gibt viele neue Straßen und gemütliche Restaurants. Wir verbringen einen netten Nachmittag mit Isis ehemaliger Gastmama Aiman, die uns viel über die Situation hier erzählen kann. Was die Löhne und die echte politische Teilhabe der Menschen angeht, hat sich nämlich leider in den vergangenen Jahren nicht wirklich was getan, aber einige Kasach:innen sind mutig genug, sich trotz der Risiken für mehr Mitbestimmung und Demokratie einzusetzen. Wir hoffen, dass dieser Einsatz in Zukunft mehr Früchte tragen wird als bisher.

Im Hostel treffen wir auf Antoine und Guénola, die beiden sind auch mit dem Rad unterwegs und in Almaty kreuzen und verbinden sich unsere Wege. Wir sind etwas planlos, welchen Weg wir in Richtung Kirgistan einschlagen sollen. Wir machen es uns einfach, folgen den beiden und verabreden uns grob an einem möglichen Campspot am See nördlich von Almaty. Aus dem kleinen Reiseplausch im Hostel wird eine Freundschaft. Schon auf dem Weg dahin treffen wir uns wieder und ab da radeln wir die nächsten Tage gemeinsam weiter.

Doch bevor wir die größte Stadt Kasachstans verlassen, heißt es noch schnell alle Besorgungen erledigen. Da wir dieses Mal direkt in der größten Metropole angekommen sind, haben wir keine Ahnung wie die Versorgung in den kleinen Dörfern ist. Eine Sache, die wir beim Überradeln einer Grenze sonst relativ schnell sondieren können. Durch unser Beamen von Iran nach Zentralasien in rasanter Geschwindigkeit, haben wir also diesmal keinen blassen Schimmer: Brauchen wir Essensvorräte? Wie oft kommt man an Wasser? Kann man mit Karte bezahlen und wie viel Bargeld brauchen wir eigentlich?
Wir gehen auf Nummer sicher und packen die Taschen voll, heben viel zu viel Geld ab und tauschen sogar schonmal erste kasachische Tenge in kirgisische Som. Wir füllen unseren Benzintank für unseren Kocher an der Tankstelle. Eine Sache, die immer wieder zum Schmunzeln führt, wenn zwei auf dem Rad tatsächlich Benzin kaufen wollen. Diesmal geht es zu einem Opi an den Transporter, er schöpft uns etwas aus dem Kanister in unsere Flasche. Dann noch schnell die Luft an einer kleinen Autowerkstatt mit dem Kompressor aufpumpen und ab geht es!

Am Abend genießen wir das Licht der Sonne am See, die schneebedeckten Berge im Süden und die nicht enden wollende Weite der Steppe im Norden. Doch am meisten genießen wir es in einem Gewässer einfach so baden gehen zu dürfen, auch wenn das mit dem Baden nicht so einfach ist, bei diesem sehr flach verlaufenden, abflusslosem See.

Wir radeln gemeinsam mit Antoine & Guéno in Richtung Kirgistan. Die beiden haben ungefähr das gleiche Tempo und den gleichen Rhythmus wie wir. Es ist das erste Mal auf unserer Reise, dass wir mit anderen Radreisenden länger als einen Tag unterwegs sind. Auf eine gewisse Art fühlt es sich an wie Urlaub. Besonders nach den angespannten Tagen in Iran, ob denn auch wirklich alles gut gehen wird mit dem Flug und co., können wir uns nun einfach wieder treiben lassen. Dabei teilen wir uns die Entscheidungen mit den beiden und man macht sich auch nur noch halb so viele Gedanken über alles, denn acht Augen sehen mehr als vier und vier Köpfe haben mehr Ideen als zwei.
Wir radeln einfach gen Osten, lassen uns von dem Wind über die flache Landschaft schieben, radeln über eine fast autoleere neue Straße an einem Kanal entlang, bis wir an der frischesten Stelle des Asphalts ankommen, machen Pause am Straßenrand und stellen die Zelte auf, wenn uns danach ist. Wir genießen die Zeit mit den beiden sehr!

Manchmal ergeben sich so lustige Zufälle. Wir fragen uns gerade während des Radelns, ob wir denn in Kasachstan auch in den Genuss einer Einladung kommen werden, vor allem weil wir nun ja zu viert unterwegs sind. Keine fünf Minuten später dreht ein Auto auf der Straße und Bislan bittet uns seine Einladung zu sich nach Hause anzunehmen. Verrückt!
Wir folgen dem großen Geländewagen in die kleine Siedlung. Als wir ankommen hat Bislans Mutter Maida bereits den Tisch im kleinen Gartenschuppen gedeckt und wir werden mit Köstlichkeiten umsorgt. Bislan arbeitet in einem großen Büro in Nur-Sultan (Astana) und kommt am Wochenende zu seiner Mutter gefahren. Mal eben hier her fahren heißt für ihn dann etwa 11 Stunden Autofahrt und gute 1.200 km überwinden. Also von der Entfernung her ungefähr so als würde man von Leipzig ans Meer nach Kroatien fahren. Nur ist die Landschaft in der kasachischen Steppe während der Autofahrt wohl nicht so abwechslungsreich.

Bislan erzählt uns, dass er Muslim ist und auch er sagt uns wieder, dass Einladen von Reisenden gehört in seiner Religion, dem Islam, einfach dazu. Es ist Freitag und er entschuldigt sich, denn er muss jetzt in die Moschee zum Freitagsgebet. Das sei auch der Grund, warum er nicht mit uns gegessen habe. Wir sollen es uns in der Zwischenzeit im Haus gegenüber gemütlich machen und eine Pause von der Mittagssonne genießen. Eine Wahl haben wir nicht wirklich, denn die liebenswerte Mutter ist schon dabei Matratzen und Kissen in das halbfertige Haus zu räumen. Es ist gerade im Bau, doch heute am Freitag wird nicht gearbeitet. Trotz der Baustelle fungiert das Haus bereits als Wohnung für die beiden. Wir machen es uns gemütlich und ein Nickerchen, bevor wir uns von Bislan und Maida verabschieden. Was für eine schöne Mittagspause!

Auch sonst ist unser erster Schock über die etwas unfreundlich wirkenden Menschen aus der Großstadt Almaty schnell verflogen. Die Menschen im ländlichen Raum begegnen uns immer wieder mit einem freundlichen Lächeln. Doch nicht nur das, sie beschenken uns auch täglich mit Äpfeln und leckeren Trauben.

Nach der flachen, steppenartigen Landschaft kommen wir nun langsam in bergigere Gefilde. Der erste Anstieg seit langem lässt unsere Beine wieder wach werden und die Bergwelt lässt unsere Herzen doch immer wieder höherschlagen. Wir winden uns nach oben und in der Abenddämmerung erreichen wir die kleine Hochebene.
Doch ruhig ist es hier nicht, ein Restaurant reiht sich an das andere, kleine Shops und Stände versorgen hier scheinbar die Tourist:innenbusse von und nach Kirgistan. Wir lassen uns verführen und bestellen uns in einem kleinen Restaurant, bestehend aus drei Schiffscontainern, Laghman und Cay, der in Zentralasien traditionell immer aus kleinen Schüsseln geschlürft wird. Begrüßt werden wir von den liebevollen Kindern der Familie, die uns auch direkt auf English ausfragen und neugierig unsere Räder inspizieren.

Wir fragen die Besitzer des Restaurants, was wohl auch irgendwie ihr Wohnhaus ist, ob wir hinter dem Haus unsere Zelte aufstellen können. Also schieben wir die Räder im Dunkeln vorbei an den Containern, dem Plumpsklo des Restaurants sowie den Ställen der Tiere weiter über die holprige Weide, die sich in der Weite verliert und bauen unsere Zelte auf.

Am nächsten Morgen, im Sonnenschein, sehen wir die wirkliche Schönheit dieses Platzes. Die kleinen Kinder aus dem Dorf sind auch schon ganz aufgeregt wegen der „Fremden.“ In spiralförmigen Kreisen nähern sie sich ganz langsam an, bis sie ganz nah dran sind und sich getrauen „Hello“ zu sagen.

Auch an diesem Tag bläst uns der Wind weiter gen Osten und wir kommen schneller als gedacht im Charyn Canyon an. In diesem Nationalpark hat der Charyn Fluss vor langer Zeit einen wunderschönen, tiefen Canyon ins Gestein gewaschen und wir können nun die bizarren Felsformationen bestaunen. Das Schöne ist, dass man direkt mit dem Fahrrad durch den Canyon radeln kann. Am späten Nachmittag geht es für uns nach einem Sturm steil bergab und das Sonnenuntergangslicht taucht die Felsformationen nach und nach in die unterschiedlichsten Farben und versetzt uns immer wieder ins Staunen.

Man kann nicht nur durch diesen Canyon radeln, sondern auch mittendrin übernachten und so genießen wir den Blick nicht nur am Abend, sondern auch während des Frühstücks am stark rauschenden Fluss, bevor wir uns die Höhenmeter wieder hocharbeiten müssen. Ein paar Kilometer weiter legen wir einen weiteren Stopp ein. Die Landschaft ist einfach zu schön, um sie schon wieder zu verlassen. An diesem traumhaften Platz treffen wir außer ein paar Kühen nur noch ein kasachisches Pärchen, die hier fernab des tagsüber doch sehr frequentierten Canyons wohl auch Zuflucht und ein bisschen mehr Ruhe suchen. Sie begrüßen uns herzlich und wir kommen später in den Genuss eines kasachischen Barbecues. Der Geruch von Gegrilltem lag schon länger in der Luft und wir verspürten alle einen Heißhunger darauf. Die Freude war entsprechend groß, als unsere Nachbarn mit zwei liebevoll hergerichteten Würstchen herüberkamen.

Nach dem entspannten Tag am Fluss heißt es nun so richtig hoch strampeln. Bis zur Grenze haben wir einige Höhenmeter zu bewältigen und es regnet ohne Ende. Doch das stört uns wenig, denn schon nach kurzer Zeit entdecken wir die ersten Kamele am Horizont. Unsere Augen strahlen und jetzt haben wir so richtig das Gefühl, dass wir in Kasachstan und damit auch in den Weiten Zentralasiens angekommen sind und freuen uns auf neue Abenteuer.

Der Regen wird immer stärker, wir sind so langsam ziemlich durchgefroren und da es auf unserem Weg Richtung Pass keine Ortschaften mehr gibt, muss ein Friedhof als Regenschutz herhalten. Wir denken, dass der nett lächelnde Herr auf dem Bild aus der Gruft wohl nichts gegen unseren Besuch hat und genießen das wärmende Süppchen unterm Dach.

Diese Stärkung ist auf jeden Fall sinnvoll, denn danach kommen nicht nur die Sonne, sondern auch die Berge zum Vorschein, die wir nun erklimmen werden. Schon bald wird aus der asphaltierten Straße, eine kraftzehrende Holperpiste mit verrückten Autofahrern, die die Bremse wohl nicht finden.
Oben angekommen erreichen wir erneut eine Hochebene. Sonnenstrahlen kämpfen sich wieder durch den wolkigen Himmel, am Horizont erscheinen die teils schneebedeckten Gipfel, hinter denen Kirgistan liegt. Die Szenerie und Weite ist ergreifend und beeindruckend.

Wir decken uns in der kleinen Stadt Kegen mit frischem Obst und Gemüse für die nächsten Tage ein und verbringen unsere letzte Nacht in Kasachstan.

Nur noch wenige Kilometer trennen uns von unserem nächsten Reiseland und nachdem wir den bisher östlichsten Punkt unserer bisherigen Reise erreichen, fahren wir nun erst einmal wieder gen Westen.

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Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Karen Schröder

    Hallo, ihr Weltreisenden! Die Menschen auf den Fotos sehen schon richtig asiatisch aus. Trotz der bunten Felsen ist das Grün wirklich angenehm. Es wirkt nicht mehr so nach Hochkultur wie im Iran. Schon, dass ihr 2 nette Mitradler gefunden habt und die Einheimischen wieder netter sind als in der Großstadt. Weiterhin alles Gute wünschen euch Renate und Karen von der Waterkant 🌩️🌦️☔

  2. Caro

    Huhu,
    Carola hier.
    Die OS Colditz hat eine Partnerschule in Kasachstan. Ich bin richtig froh gewesen, als ihr wieder in eurer Freiheit wart und auch als ich euch zu VIERT radeln sah. Ist das Pärchen aus Frankreich?
    Liebe Grüße ♡