Nach 110 Radeltagen und etwa 5.500 km from Baltic to Black Sea sind wir endlich wieder am Meer. Doch bevor wir wieder die schöne Meeresluft schnupperten, entdeckten wir die reiche Flora und Fauna des Donaudeltas.

Viel Spaß beim Lesen!

Mit dem Lacul Razim erreichen wir den größten See Rumäniens, die Luft riecht nach Wasser und den Blick auf das offene Meer versperrt uns nur noch eine kleine Landzunge am Horizont. Auch die Häuser der kleinen Orte werden maritimer. Immer öfter erstrahlen sie in hellen Blautönen und sind mit Reetdächern bedeckt. Selbst die pompösen Kirchen passen sich der Umgebung an.

Wir erreichen Tulcea, das Tor ins Donaudelta und somit auch das Tor in eine andere Welt. Hier bestimmt der Pegelstand des Wassers das Leben der Menschen. Unterwegs ist man hier fast nur auf Fähren, auf kleinen bis großen Motorbooten und den altbekannten Pferdekutschen. Fisch und Vogel bestimmen die Fauna und die Flora ist größtenteils im Wasser zu Hause. Das Delta ist gut zweimal so groß wie das Saarland und besteht aus drei großen Hauptarmen der Donau, dem Chiliaarm an der ukrainisch-rumänischen Grenze, dem kommerziellen Sulinaarm in der Mitte und dem südlichen Sfântu-Gheorge-Arm. Zwischen diesen Armen gibt es zig kleine und große Kanäle, sehr viele Seen, jede Menge Schilf, Urwälder aber auch viele Felder. In den 60er Jahre wurden große Teile des Deltas trockengelegt, um die Flächen landwirtschaftlich zu nutzen. Glücklicherweise gab es ein politisches Umdenken und es kam zur Renaturierung einiger Flächen. Erst im Jahr 1990 wurde das Donaudelta von Rumänien zum Biosphärenreservat erklärt. Drei Jahre später verlieh die UNESCO dem Gebiet den Titel Weltnaturerbe und die rumänische Regierung stufte es anschließend als Naturschutzgebiet hoch. Die vielfältige Natur steht nun ohne Frage im Vordergrund. Zum Glück ist das noch so und wir hoffen, dass dies auch noch lange so bleibt!

Von Tulcea aus starten wir unser Abenteuer ins Donaudelta. Wir wissen noch nicht genau wie weit wir mit dem Rad ins Delta fahren können und ab wann es nur noch auf der Donau weitergeht. Mit der Fähre in Nufǎru überqueren wir den südlichen Donauarm nach Ilganii de Jos. Es ist ein schöner Moment, denn mit der Überfahrt tauchen wir ein in eine verkehrsarme, entschleunigte Welt mit der Natur im Mittelpunkt. Auf einer überraschend guten Straße radeln wir den Sulinaarm entlang gen Mündung. Wir finden eine flache Stelle zwischen den Bäumen am Kanal, bauen unser Zelt auf und werfen unsere selbstgebaute Angel aus Treibholz, Schnur und Haken ins Wasser. Nach kurzer Zeit knabbern die Fische auch schon an unseren Brotködern und Schwups hing der Fisch in der Luft. Doch das Überraschungsmoment war auf seiner Seite und so konnte er sich durch wildes Zappeln wieder losreißen. Später am Abend entfalten sich die Lichter der untergehenden Sonne über dem Delta. Es war ein sehr schöner Moment, doch schon bald vertreibt uns wildes Summen zügig ins Zelt: Mücken! Uns wurde gesagt, dass die Mückenhauptzeit schon durch ist. Wir wollen uns gar nicht ausmalen, was dann hier los wäre.

Am nächsten Morgen liegt eine kleine Nebelschicht auf dem Donauarm, langsam kämpft sich die Sonne nach oben und wieder erstrahlt ein Lichtermeer am Himmel. Die ersten, kleinen Fischerboote sind unterwegs und langsam erwacht die Natur. Es ist eine idyllische und entspannte Morgenstimmung.

Wir radeln weiter den Sulinaarm entlang und passieren dabei kleine Fischerdörfer. Einige Kühe und Pferde kreuzen dabei unseren Weg. Die Wege werden immer schlechter und holpriger, aber doch befahrbar und so erreichen wir irgendwann Gorgova. Hier ist Endstation, weiter geht es nur per Wasser mit einem der Navromschiffe, welches in gut drei Stunden ablegt und uns in das weiter östlich liegende Dorf Crișan bringen wird. Hier lassen wir die Räder ein paar Tage stehen und erkunden das Delta verkehrsgerecht per Wasserstraße mit dem Boot.

Wir leihen uns ein Kajak aus und starten mit dem Sonnenaufgang ins Delta. Nachdem wir den großen Hauptarm verlassen, gleiten wir fast lautlos über die kleinen Kanäle. Bäume ragen ins Wasser, ihre Kronen greifen von beiden Seiten ineinander und bilden einen Tunnel durch den wir hindurchpaddeln.  Wir erreichen einen See, der fast komplett zugewachsen ist. Lediglich eine kleine Fahrspur führt hindurch. An manchen Stellen soll der Bewuchs bis zu einem Meter dick und begehbar sein. Wir sehen und hören unzählige Vögel.

Später erreichen wir einen offenen See und entdecken Pelikane am Horizont. Langsam pirschen wir uns heran und sind beeindruckt von diesen Vögeln. Sie formieren sich und fliegen mit riesigen Flügelschlägen majestätisch davon. Ab und an sehen wir noch vereinzelt eine Seerose blühen. Wie wunderschön muss das Bild wohl im Frühsommer sein, wenn all die Pflanzen ihre Blütezeit haben.

Am nächsten Tag lassen wir uns chauffieren. Wir steigen in das Boot von Petre, welcher sich besonders für Ökotourismus engagiert. Er bietet Bootstouren ins Delta an und erzählt dabei mit leuchtenden Augen sowohl auf Englisch, Französisch und Deutsch an welchem Vogel wir gerade vorbeifahren. Es ist verrückt, denn mit dem motorisierten Boot kommen wir den Vögeln viel näher als mit dem Kajak. Die Vielfalt ist unglaublich! Wir entdecken Eisvögel, Seeadler, Kormorane, Seiden-, Nacht- und Graureiher sowie unterschiedlichste Möwen- und Schwalbenarten, um nur einige davon zu nennen. Doch nicht nur die Artenvielfalt begeistert uns, sondern vor allem die Vielzahl an hier lebenden Vögeln in einem scheinbar perfekten, natürlichen Lebensraum. 

Irgendwann erreichen wir das kleine Fischerdorf Letea inmitten des Deltas. Völlig abgeschnitten von der Welt stehen die kleinen blau- und grün-weißen Häuser hier im Sand. Vor 50.000 Jahren verlief hier die Küstenlinie entlang. Heute erinnert nur noch der sandige Untergrund daran. Mit der Pferdekutsche klappern wir von Letea in den nah gelegenen Urwald. Uralte Bäume mit ihren verschnörkelte, gewunden Ästen liegen vor uns. Die Sonnenstrahlen dringen durch das Blätterdach und geben der Situation eine warme Stimmung. Wir gehen ein Stück zu Fuß und erreichen eine Lichtung im Wald, wo wir auf eine riesige Sanddüne treffen. Wir sehen wilden Wein, der von den Baumkronen herunterwächst, mehrere hundert Jahre alte Eichen und Lianen. Es ist sehr eindrucksvoll!
Wir befinden uns in einem kleinen Teil des Waldes, der für Besucher zugänglich ist, der Großteil ist geschützt. Aufgrund des Hochwasserstandes des Deltas steht der Wald ca. zwei Monate im Jahr unter Wasser. Außerdem beträgt die Humusschicht nur ca. zehn Zentimeter und trotzdem können riesige Bäume standhaft wachsen. Hier gedeihen unter anderem auch noch die wilden Formen des Apfels und der Birne.
Auf dem Rückweg plötzlich Aufregung, denn es scheinen wilde Pferde in der Nähe zu sein. Wir schleichen uns durch den dichteren Wald und dann sehen wir sie ganz kurz zwischen den Bäumen, bevor sie wieder davongaloppieren. 

Nach diesen eindrucksvollen Tagen im Herzen des Deltas steigen wir wieder auf ein großes Navrom-Schiff und fahren weiter gen Osten, nach Sulina, die einzige Stadt im Delta und gleichzeitig die Mündung zum Meer! Nach gut 5.000 km durch halb Europa sind wir endlich wieder am Meer. Wir sind überglücklich, schlagen unser Zelt auf und genießen die Seeluft.

Nach kurzem Test entscheiden wir uns gegen die holprige Straße die von Sulina nach Sfântu Gheorghe führt und wählen stattdessen den Strand. Wir radeln die gut 30 km auf dem nassen, angetrockneten Sand über Muschelbänke und Steine. Es ist zwar mühsam und ab und an müssen wir die Räder auch mal schieben, aber es funktioniert und vor allem ist es wunderschön. Zwei Tage sind wir völlig allein in der wilden Natur, am Meer und doch noch im Delta. Wir radeln vorbei an vielen Kormorankolonien, Pelikanen und entspannten Kühen am Strand. Eine Würfelnatter benutzt das Netz unserer Radtasche als Schlafquartier und sorgt damit am nächsten Morgen gleich für ein schnelles Wachwerden bei uns, als wir sie dort entdecken.

Neben Rumänen siedelten sich in der Vergangenheit auch Chacholen und Lipowaner, eine ukrainische bzw. russische Minderheit, im Donaudelta an. Doch wie lebt es sich als Einheimische(r) im Delta? Wir wissen es nicht. Kontakt haben wir nur zu denen, die im Tourismus beschäftigt sind. Das sind zwar schon mehr als vor ein paar Jahren, aber es gibt auch noch viele Fischer, Bauern und einen hohen Anteil an Arbeitslosigkeit hier. Das Leben im Delta ist hart und vor allem der nasse, dunkle Winter fordert die Menschen. Wir erfahren, dass zwar jedes kleine Dorf ein Schule für Kinder bis zur vierten oder sechsten Klasse hat. Danach müssen sie allerdings eine weiterführende Schule in Tulcea oder Sulina besuchen. Da die Kinder hier nicht so einfach in einen Bus steigen können, bedeutet dies, dass sie die Woche über getrennt von ihrer Familie leben müssen. Entweder bei Bekannten in der Stadt oder die Familie mietet eine Wohnung. Frei nach dem Motto „Irgendwie findet man schon eine Lösung“. Für die Fischer wird ein ohnehin hartes Leben noch anstrengender, denn der Schutz des Naturraumes und die Fangquoten haben natürlich auch Auswirkungen auf ihren Lebensunterhalt. Es wird zwar versucht die durch ökologischen Tourismus auszugleichen, doch erreicht man dabei nicht jede(n).

Nach dem Delta radeln wir entlang der rumänischen Schwarzmeerküste gen Süden. Für uns wird es nun immer schwieriger einen schönen Platz in der Natur zu finden, doch wir finden sie! Die Küste im Süden besteht zum größten Teil aus Beton und wenn man die ganzen Baustellen und Kräne sieht, ist auch noch kein Ende der Urbanisierung in Sicht. Wobei es sich hier nicht wirklich um eine Verstädterung, sondern vielmehr um eine „Hotelisierung“ des Küstenstreifens handelt. Wir fühlen uns hier nicht wirklich wohl und radeln recht flott auf vierspurigen Straßen, Lkw-Hafenzufahrten oder Schotterpisten neben der Bahnstrecke Richtung Bulgarien.
Unsere letzte Nacht in Rumänien verbringen wir in einer niedlichen Unterkunft bei Valentina. Sie empfängt uns so herzlich, dass wir uns direkt wie zuhause fühlen. Als wir abends im Bettchen liegen sind wir ganz froh über das Dach, denn draußen schüttet es plötzlich in Strömen. Am nächsten Morgen werden wir noch mit Proviant für die Weiterfahrt versorgt und es fühlt sich ein bisschen so an, als würden wir aus der Heimat gen Kiel starten.

Es sind unsere letzten Tage in Rumänien und zuerst einmal sind wir dankbar, dass wir unfallfrei durch diesen absurden, respektlosen und sehr aggressiven Verkehr gekommen sind. Es scheint als gehe man hier zum Telefonieren ins Auto und Empfang hat man nur, wenn man mit überhöhter Geschwindigkeit fährt und umso dichter man an Fahrradfahrer:innen, Passant:innen und Kinderwägen vorbeifährt. Beispielhaft für die Einstellung mancher Autofahrer:innen sehen wir eine Unterhaltung, bei der uns ein Mann gesagt hat: „Ja, der Verkehr in Rumänien ist aggressiv!“. Dabei hatte er ein Lächeln im Gesicht. Eine vorsichtige Fahrweise sieht man nur bei schlechten Straßenverhältnissen. Es scheint als sei das Auto wichtiger als andere Verkehrsteilnehmer. Bremsschwellen und Blitzer könnten in unseren Augen also die perfekte Lösung sein, die jedoch auch gewollt sein muss.

Nach zwei Monaten, gut 2.200 km und ca. 15.500 Höhemetern verlassen wir ein wunderschönes Stück Erde im Osten Europas. Wir sind schon wieder völlig überwältigt und überrascht worden. Wir hatten vorher keine Vorstellungen von Rumänien, nicht von der Natur und nicht von den Menschen. Außer vielleicht vorurteilbehaftete Kommentare, die wohl jeder schon einmal über dieses Land gehört hat. Und wie mit allen Vorurteilen ist es doch so, dass man sich lieber selbst ein Bild darüber machen sollte.

Wir haben dies getan! Ein Land mit so vielen Facetten in wenigen Sätzen zusammenzufassen scheint uns fast unmöglich. Wir sind nachhaltig fasziniert von den vielen freundlichen, herzlichen und hilfsbereiten Menschen, die hier unseren Weg kreuzten. Außerdem hat uns die unglaubliche und atemberaubende Natur überwältigt und noch dazu unternahmen wir gefühlt eine Art Zeitreise in die Vergangenheit. Der Wechsel zwischen den unterschiedlichen Landschaften, die vielfältiger nicht sein könnten, überrascht uns am Rande Europas ganz besonders. Überall klappern die Pferdekutschen und Hirten ziehen mit ihren riesigen Schafherden über die Weiden. Die Omis und Opis erhalten durch ihre Handarbeit alte Traditionen des Handwerks noch aufrecht. All diese kleinen, verzierten, idyllischen Häuser und Dörfer, die einen gemütlichen Charme ausstrahlen. Die mit Liebe gestalteten Gärten und Bänke vor jedem Haus, die gern zum abendlichen Zusammentreffen genutzt werden und welche für uns die gefühlte Gemütlichkeit des Zusammenlebens in Rumänien wiederspiegeln.

Aber natürlich gibt es wie überall auch noch eine andere Seite der Medaille. Immer wieder kommen wir auch mit Rumän:innen ins Gespräch, die im Ausland leben, weil sie mit den Bedingungen in Rumänien unzufrieden sind. Sie sagen, dass es wie überall auch viele unfreundliche Menschen gibt und Korruption noch immer Bestandteil des Systems sei. Anfangs konnten wir mit diesen Aussagen nichts anfangen, doch nach zwei Monaten kann man sagen, diese Aussagen sind wohl nicht immer aus der Luft gegriffen. Doch bevor hier wieder neue Vorurteile geschnürt werden, auch zwischen Passau und Flensburg gibt es einige unfreundliche Menschen und wo verläuft eigentlich der Unterschied zwischen Lobbyismus und Korruption?

Aber davon sollte sich halt jeder selbst ein Bild machen. Es lohnt sich!

La revedere Romania!

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Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Karen Schröder

    Moin! Das Donaudelta kannten wirbishernuraus Mare-TV und ähnlichen Sendungen. Die Natur wirkt noch sehr ursprünglich. Hoffentlich macht der Hotelboom nicht alles Kaputt… Schon wieder eine Natter im Gepäck: ihr lebt echt gefährlich! Weiterhin alles Gute wünschen euch Renate und Karen 🍀🍄

  2. Rasto

    Great achievment, friends!
    Your story is intiguing, educating and inspiring.
    We are very much looking forward to meeting you and listening to your journy stories live 🙂
    Lubka and I

  3. Carola

    Hallo ihr Lieben,
    habt ihr nicht Rastro und Lubka erst auf eurer Reise kennengelernt? Ganz am Anfang? Eine Würfelnatter hab ich noch nie gesehen. Bloß gut, dass sie nicht direkt vorm Zelt saß. Wie glücklich ihr gewesen seid, endlich wieder Meer zu sehen und zu spüren, das konnte man total nachempfinden. So schöne Fotos! Genießt es weiterhin, eure begeisterte Leserin Carola